Die Knochentänzerin
gebrochen, der ritterliche Kampf Mann gegen Mann galt nichts mehr. Die Pfeile von Langbogenschützen durchbohrten selbst Ritterrüstungen, Kanonen feuerten todbringende Ladungen, die ganze Gefechtsreihen niedermähten. Der Krieg war gesichtslos geworden, ein gewissenloser Mörder – beinahe wie die Pest, die ebenso wahllos die Welt in ein Totenhaus verwandelte. Auch Venedig stand am Scheideweg. England und Frankreich befanden sich im Krieg. Auf wessen Seite schlug sich Venedig? Dies würde eine bedeutende Rolle für den Ausgang spielen. Wer träfe die Entscheidung? Der neue Doge? Oder waren die Machtverhältnisse dieselben wie damals, als Faliero aus dem Hintergrund die Geschicke lenkte?
Gedanken wie diese waren Karl während der heiligen Messe durch den Kopf gegangen. Der eigens für ihn in der Nähe des Altars aufgestellte Kaiserthron bot mit seinem exponierten Platz freien Blick auf das prunkvolle Innere des Markusdoms. Der anwesende Adel der Serenissima war mit den prächtigsten und buntesten Gewändern angetan. Wie eine Schar Pfauen, dachte der Kaiser, während die theatralischen lateinischen Gesänge des Patriarchen von Venedig, Nicolo Morosini, durch den Dom hallten.
Das anschließende Festbankett im Palast des Dogen war zunächst nicht minder eine Abfolge von festgelegten Zeremonien. Zur Linken Dandolos saß seine Gemahlin in goldenem Brokatgewand und mit eingefrorenem Lächeln. Sie war hier die einzige Frau. Neben ihr und gegenüber reihten sich die
nobile:
der Patriarch, der das Ornat mit einem goldenen Gewand getauscht hatte, die Prokuratoren, alle Mitglieder des Großen Rats und die mit den Handelsprivilegien versehenen Adeligen. Pietro Dandolo hielt eine Ansprache, in der er die Beziehungen zwischen dem Heiligen Römischen Reich und insbesondere Böhmen zu Venedig rühmte, worauf Karls Kanzler mit ähnlichen Worten antwortete. Dann redete erneut der Patriarch, seine Worte bestanden mehr oder weniger aus einer Zusammenfassung der Predigt. Der Kaiser nickte zu all dem wohlwollend. Hinter ihm stand ein Sekretär, der die Kaiserkrone über sein Haupt hielt, flankiert war er von zwei weiteren Kanzleimitgliedern, deren Aufgabe darin bestand, Zepter und Reichsapfel zu präsentieren.
Karl musste sich bis in die späten Abendstunden gedulden, bis alle Höflichkeitsrituale abgeschlossen waren und sich Gelegenheit bot, ernsthafte Gespräche zu führen. Schließlich war es beinahe Mitternacht, als sich endlich die erwünschte Konstellation ergab: Der Kaiser war mit Faliero und dem neuen Dogen Venedigs, Pietro Dandolo, bis auf die Mundschenke und Leibdiener allein. Dandolo wirkte müde, er hatte dem Wein kräftig zugesprochen. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Faliero hingegen sah putzmunter aus, als wäre er gerade einem erfrischenden Bad entstiegen. Die drei Männer taxierten sich, bevor der Doge als Erster das Wort an Karl richtete: »Majestät, Euer Besuch ist eine große Ehre für Venedig.«
Wieder nur eine Höflichkeitsfloskel, zum wievielten Mal wiederholt? Doch Karl stand nicht der Sinn danach, den neuen Dogen Venedigs darauf hinzuweisen. Stattdessen erwiderte er höflich: »Nicht erst seit Friedrich dem Ersten ist es geschätzte Tradition Venedigs, den Kaiser des Römischen Reichs zu empfangen.«
Faliero nickte wohlwollend und setzte sein Wolfslächeln auf. Der Kaiser beherrschte die Kunst der Diplomatie in Vollendung. Gespräche unter Mächtigen bestanden aus geschickt verschlüsselten Worten. Deren wahre Bedeutung lauerte meist tief unter der Oberfläche. Karl hatte Kaiser Barbarossa ganz bewusst erwähnt, denn dieser war anno 1176 nach seinem Feldzug gegen die italienischen Städte nach Venedig gekommen, um Papst Alexander III. den Steigbügel zu halten. Damals hatte sich Venedig bei der Aussöhnung zwischen kirchlicher und weltlicher Macht hervorgetan.
»Dem Himmel sei Dank, der Herr straft die Kirche nicht mit einem zweiten Schisma.« Dandolo sprach langsam und akzentuiert, mit Pausen zwischen den Wörtern. Es klang gekünstelt. »So gern Venedig sich in der Vermittlerrolle sieht – Papst Innozenz’ Thron ist nach wie vor unangefochten.«
»Auch wenn manch einer den Umzug der Kurie von Rom nach Avignon als babylonische Gefangenschaft bezeichnet«, warf der Kaiser ein.
»Venedig hat dies stets mit Wohlwollen bedacht. Politisch gesehen ist Avignon ein neutralerer Ort als Rom.« Faliero gab dem Mundschenk einen Wink. Sofort eilte dieser herbei und goss Wein in die Becher.
»Aus der
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