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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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wurde ich aus dem Halbschlaf gerissen. Etwas brüllte los. Ich riss an den Fesseln und schrie vor Furcht und Todesangst. Eine Feuerspur wurde über das Wasser gespien, erlosch wieder. Doch im gleißenden Flammenschein war für einen Wimpernschlag das mächtige, gehörnte Haupt eines Ungeheuers aufgeblitzt. Auch die Ritter hörte ich schreien, dann erklang erneut das donnernde Brüllen, und ein weiterer Feuerstrahl schoss über den See – viel näher nun als beim ersten Mal. Ich wollte wieder schreien, doch meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich erstarrte vor Frucht, hörte nur noch, wie die Ritter ihr Heil in der Flucht suchten – und dann sah ich, wie der Drache aus den Nebelschleiern auftauchte und auf mich zuschwamm. Meine Lippen formten zitternd Gebete ohne Sinn und Zusammenhang. Das war das Ende. Gefressen von einem fürchterlichen Untier.
    Nun geschah etwas Seltsames. Ich traute meinen Augen nicht. Meine Sinne spielten verrückt. Das Untier zerfiel in zwei Teile. Eine Gestalt sprang aus dem Kopf des Drachens ins hüfttiefe Wasser. Rannte zu mir herüber.
    »William!«
    »Schsch! Still.«
    Er schnitt mich los, zerrte mich ins Wasser.
    »Nicht dahin!«, rief ich, doch dann sah ich, was da schwamm. Ein Boot. Hastig griff ich an den Rand, stemmte mich hoch, und William warf mich gar hinein, bevor er hinterherkletterte. Ich verstand gar nichts, griff nur nach dem Ruder, das er mir in die Hand drückte, und schlug das Blatt hektisch ins Wasser.
    »Ruhig«, zischte William, doch dann klatschte er selbst wie verrückt mit dem Ruder auf den See und flüsterte: »Recht hast du! Es geht nicht ohne ordentliches Spritzen und Platschen, wenn das Ungeheuer von Loch Nis die Jungfrau verschlingt.«
    »Wie hast du das zustande gebracht«, konnte ich nur stottern, als wir etwas später weit draußen auf dem See trieben.
    William hob ein Kuhfell mit Kopf und Hörnern. »Ein Rindvieh, weiter nichts.« Er grinste verschmitzt. »Es lag im Stall in der Burg.«
    »A… aber«, stotterte ich, »das Brüllen … das Feuerspeien …«
    »Donnerkraut.« William war sichtbar stolz und ergötzte sich an meinem furchtvollen Staunen.
    »Donnerkraut?«
    »Ich fand es in der Waffenkammer des Lords. Ursprünglich war ich dort auf der Suche nach einem Schwert, damit ich dich befreien konnte.«
    »Du hättest mit den Rittern …«
    Er winkte ab, als wäre es eine Kleinigkeit. »Doch dann fand ich das Fass mit dem Donnerkraut, und mir kam eine viel bessere Idee.«
    »Was ist Donnerkraut?«
    »Davon hast du im Kloster bestimmt nichts gehört. Doch die ganze Welt spricht davon. Es ist ein schwarzes Pulver, das Ungeheures vollbringt. Stell dir vor, man steckt eine steinerne oder eiserne Kugel in ein Rohr, lädt das Pulver dahinter, zündet es an, und es schleudert die Kugel, so schwer wie ein Schaf, weiter, als man einen Stein werfen kann.«
    »Nein.«
    »Doch. Sieh her.« Er schob das Fell zur Seite, und ich sah darunter zwei schwarze, gusseiserne Rohre. »Hier war das Pulver drin, natürlich ohne Kugeln.« Er zeigte mir Feuerstein und Zunder. »Sobald ein Funke es berührt, geht es los. Du hast es selbst gesehen und gehört.«
    »Ich dachte, es sei der Drache.«
    »Natürlich. Das war der Sinn. Es hat funktioniert. Ich sah die Ritter des Lords rennen wie die Hasen.«
    Bewundernd blickte ich zu ihm auf. »Du hast mir das Leben gerettet.«
    Verlegen wehrte er ab. »Wer weiß, ob es diesen Drachen überhaupt gibt. Vermutlich hätte dich der Lord irgendwann wieder losgebunden, wenn das Vieh nicht gekommen wäre. Aber ich wollte sichergehen.«
    »Danke«, konnte ich nur flüstern.
    »Nicht der Rede wert.« William grinste immer noch. »Das Beste kommt aber noch.«
    »Was?«
    Er hielt einen ledernen Beutel hoch. »Der ist voll Hacksilber. Eine gute Grundlage für blühenden Reliquienhandel. Bevor ich zum Ungeheuer wurde, verscherbelte ich noch den heiligen Märtyrer Donnan von Eigg und die gesegneten Hände Marias und Josefs.«
    Ich konnte nicht anders. Ich fiel ihm um den Hals und küsste sein Gesicht. Dann begann ich zu lachen, und bald stimmte William ein, wir trieben auf dem Loch, und unser Lachen hallte über das Wasser, in dem ein Drachen wohnte, dem mein Held sein Opfer gestohlen hatte.

    Weit oberhalb von Urquhart Castle gingen wir an Land. Das erste Morgenlicht schlich sich in den Himmel.
    »Was nun?«, fragte ich William.
    »Hast du von den elftausend Gebeinen derer gehört, die einst der heiligen Ursula folgten?«
    »Nein. Elftausend

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