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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Cromarty ist er gerade erst von einer Hinrichtung zurückgekehrt.«
    »Hinrichtung?« William schob den Knochensack zu seinen Füßen von links nach rechts. Das Wort schien ihn zu beunruhigen. Mich machte etwas anderes stutzig. Wohin wir auch kamen – überall gab es jemanden mit dem Namen William. Stimmte meine Zählweise, war dieser bereits der dritte.
    »Die Hinrichtung eines gar grausamen Mörders«, erklärte der Alte fröhlich. »Der hier sein Unwesen trieb, bevor Lord Urchurdan ihm das Handwerk legte. Er erschlug seine Opfer, und – man stelle sich vor – kochte sie. Wollt ihr wissen, warum?«
    »Um sie zu essen?«, würgte William mühsam hervor.
    »Möglicherweise. Doch ob er auch das noch tat, konnte selbst eine peinliche Befragung nicht ans Licht bringen. Man stelle sich vor – in erster Linie ging es ihm um die Skelette der Ermordeten. Er betrieb damit einen einträglichen Reliquienhandel. Natürlich war dies sein nächstes Verbrechen. Seine Fantasie, welche Heiligen ursprünglich in der Gestalt der Skelette steckten, war bemerkenswert. Man stelle sich vor, eines verkaufte er als Pontius Pilatus, ein weiteres gar als den Verräter Jesu, Judas Ischariot.«
    »So, so«, stotterte William, der ganz bleich geworden war.
    Ich streifte ihn mit einem warnenden Seitenblick, den er geflissentlich übersah.
    »Aber wie unhöflich von mir.« Der Weißhaarige breitete die Arme aus. »Ich lasse die Gäste hier vor dem Tor stehen. Kommt herein und folgt mir. Lord William Urchurdan wird erfreut sein. Wenngleich momentan eine Sorge sein Gemüt trübt.«
    »Welche Sorge?«, fragte ich aus Höflichkeit und folgte ihm hinter William auf den Burghof.
    Der Alte wandte den Kopf zu mir, während er weiterlief. Ich sah, wie sich seine schneeweißen, wild wuchernden Brauen hoben. »Der Drache von Loch Nis! Ein Mönch von Druim na Droichaid hat das Ungeheuer nicht weit von hier im See gesichtet. Er sah seinen riesigen, schuppigen Kopf, der Feuer spie, dass es aussah, als fege ein Komet über das Loch. Und tatsächlich – noch am gleichen Tag fehlten von der Klosterweide die Hirten sowie ein Dutzend Schafe. Außerdem sind Fischer und ihre Boote spurlos verschwunden. Der Drache scheint mit gesundem Hunger gesegnet. Und natürlich erwartet man vom Lord, dass er etwas gegen das Untier unternimmt.«
    Besagter Lord William Urchurdan hatte es sich gemütlich gemacht. Er fläzte mit hochgelegten Füßen, die noch in Reitstiefeln steckten, in einem Sessel. Auf einem Hocker daneben stand ein Teller mit Fleischstücken, von denen er sich ausgiebig bediente – Hammel, wie der Geruch bezeugte. Der Lord war von stämmiger Gestalt, ein rotgesichtiger Mann in den Vierzigern, mit ebensolcher Haarpracht versehen wie sein Diener, nur dies in dunkler, beinahe schwarzer Färbung. Seine Augen von blassem, wässrigem Blau waren zunächst auf William und dann auf mich gerichtet. Er sprach mit dunkler, schleppender Stimme: »Wer seid ihr? Ein Junge und ein Mädchen. Was führt euch zu mir und verschafft mir die Ehre eures Besuchs? Ihr müsst hungrig sein, Murray bringt gleich mehr von dem frisch geschlachteten Hammel, zart wie Lamm.«
    Murray musste wohl der alte Diener sein, der uns hierhergeführt hatte. William und ich standen unsicher mit den Knochensäcken vor ihm. Wir befanden uns im ersten Stockwerk des Palas. Die Fensteröffnungen waren mit Schaffellen verhängt, es gab einen schweren Tisch mit Stühlen in der Mitte des Raums, die Glut eines Kohlebeckens leuchtete in der Ecke. Zwei Fackeln knisterten in gusseisernen Wandhalterungen.
    William übernahm es, uns vorzustellen. In seiner bescheidenen Art ließ er seinen Daumen zunächst auf die eigene Brust deuten. »Ich bin William der Erste, und das …« Der Daumen wanderte zu mir. »… ist meine Begleiterin Cailun.«
    »William der Erste und Cailun«, wiederholte der Lord kauend. »Und weiter?«
    »Wir sind unterwegs in Geschäften.«
    »Geschäfte? Welcher Art?«
    William räusperte sich und setzte zweimal an, bevor er das Wort herausbrachte: »Rel… Rel… Reliquien.«
    »Interessant.« Lord Urchurdan hatte auf etwas Hartes gebissen und spuckte es neben sich auf den Boden. »Gerade habe ich einen Reliquienhändler an den Galgen gebracht. Der war allerdings ein Schwindler. Ein mehrfacher Mörder dazu. Wie steht es mit euch?«
    »Wir sind … ehrliche Leute«, erklärte William mit aufgesetzter Wichtigkeit.
    Die Pause, die er vor dem Wort
ehrlich
einlegte, empfand ich als

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