Die Knochentänzerin
beschwörenden Blick zu erwidern. Ich wollte nur eins, die Wahrheit wiederherstellen – also ließ ich die Worte weitersprudeln: »Das ist nicht wahr! Er lügt! Glaubt ihm bloß nicht! Nichts anderes als Widrigkeiten des Schicksals haben uns zusammengeführt – eine Notgemeinschaft. Ursprünglich bin ich eine Nonne aus dem Konvent auf Icolmkill.«
»Eine Nonne?«
»Ja«, bestätigte ich trotzig, während William heftig den Kopf schüttelte.
»Eine Jungfrau also. Unberührt.«
»Worauf Ihr wetten könnt.« Erst nachdem die Worte ausgesprochen waren, erkannte ich meinen schlimmen Fehler. Während William an einem Hustenfall fast erstickte, lehnte Lord Urchurdan sich zufrieden zurück. Plötzlich standen fünf Männer im Saal. William der Dritte winkte ihnen fröhlich zu und befahl: »Ergreift sie. Sie ist eine unberührte Jungfrau.« Er drohte William: »Wenn du klug bist, verhältst du dich still.« Dann wandte er sich wieder an seine Männer: »Bindet sie unten am Loch an den Pfahl. Stellt ein paar Schafe dazu. Einer Jungfrau als Opfergabe wird der Drache nicht widerstehen können. Das wird ihn besänftigen, und meine Bauern und Fischer sind wieder sicher.«
Während mich die Männer packten und aus dem Saal zerrten, obwohl ich mich mit Klauen und Zähnen wehrte, hörte ich noch, wie der Lord wie beiläufig zu William sprach: »Und nun zu den Geschäften. Welcher Art sind deine Reliquien? Was sollen sie kosten? Verfügst du über Zertifikate?«
Ein bleicher Vollmond beschien die Opferstätte und warf diffuses Licht auf den weißen Nebel über dem Loch. Die Ritter des Lords, gewandet in den dunklen Tartan des Urchurdan-Clans, waren höfliche Menschen. Flüsternd beschlossen sie, mir meine Kleider zu lassen, damit das Untier nicht glaube, sie hätten sich an mir vergangen, und ein nacktes Opfer sei sicher keine unberührte Jungfrau mehr. Sie banden mich an einen Pfahl im seichten Wasser, der sonst wohl dem Vertäuen von Booten diente. Das kalte Wasser reichte mir bis zu den Knien. Schon seit geraumer Zeit hatte ich eingesehen, dass Gegenwehr sinnlos war. Auch meine Schreie in der mondbeschienenen Düsternis bedeuteten bestenfalls verschwendeten Atem. Eher lockten sie das Monster an. Also ergab ich mich schweigend meinem Schicksal.
Inzwischen leisteten mir neben den Rittern drei blökende, glotzende Schafe Gesellschaft. Die Männer hatten sie auf dem schmalen Uferstreifen festgepflockt. Das Festmahl für den Drachen war bereitet.
Ich hörte, wie die Ritter flüsternd einen Plan entwarfen, was zu tun sei, wenn der Drache kam, um seine Opfergabe zu holen. Soweit ich es ihren gemurmelten Worten entnehmen konnte, wollten sie in einem sicheren Versteck der Besiegelung meines Schicksals harren. Während ich angstvoll auf das Wasser starrte, stellte sich ein Teil von mir vor, wie das Untier feuerspeiend herankam – wie die Flammen meine Haut verbrannten, wie der nach dem Schwefel der Hölle stinkende Schlund des Ungeheuers zuschnappte und mich in die Tiefe des Lochs hinabriss. Dort würden die Flammen zwar verlöschen, doch dies würde meine Qualen kaum lindern, bis der Tod kam.
Der andere Teil von mir resümierte mein Leben. Erneut musste ich mich dabei der bitteren Wahrheit stellen: Der Konvent war ein sicherer Hafen gewesen – zwar angefüllt mit harter Arbeit, monotonen Psalmen und Gebeten auf einem sturmgepeitschten Eiland –, doch gleichzeitig war das Kloster Schutz gewesen und hatte mir Nahrung für Körper und Geist gespendet. Seit meiner Flucht mit William war die Welt aus den Fugen geraten, als hätte ich damit die göttliche Ordnung zerstört, die für mein Leben vorgesehen war. Ich hatte Schiffbruch erlitten und fortan begleitete mich Gevatter Tod wie ein höriger Hund. Aufgespießte Häupter säumten meinen Fluchtweg, von mir verschuldete Flammen legten Klöster in Schutt und Asche und verbrannten Mönche. Ich selbst stand erneut am Abgrund, angebunden als Opfergabe für ein Ungeheuer.
Wind kam auf und trieb die Nebelfetzen wie Geister über das Loch. Das schwarze Wasser gurgelte gierig unter meinen Füßen. Bei jedem vom Wasser oder Wind verursachten Geräusch zuckte ich zusammen und glaubte, es sei mein Ende. So schritt die Nacht fort. Meine Sinne, anfangs noch klar vor Angst, stumpften ab. Schließlich hing ich dösend am Pfahl, nur gelegentlich aufgeschreckt von einer Windböe oder dem Platschen auf dem Loch, verursacht von einem Fisch oder Wasservogel. Oder dem Ungeheuer.
Doch mit einem Mal
Weitere Kostenlose Bücher