Die Knochentänzerin
Gebeine?«
William nickte ernst. »Es heißt wie folgt: Der Bischof von Köln, genannt Kunibert, fand die Knochen der heiligen Ursula unter den Gebeinen ihrer Gefährtinnen. Während einer Messfeier setzte sich eine Taube auf seinen Kopf und zeigte ihm dann das richtige Grab unter den anderen Jungfrauengräbern.«
»Elftausend Gebeine«, konnte ich nur ungläubig wiederholen.
»Ja. Das wäre ein Geschäft. Meinst du nicht?«
Vor meinem geistigen Auge entstand ein riesiger Haufen aus weißen Gebeinen und Schädeln. Bei dieser Vorstellung wurde mir das Leuchten in Williams Blick rätselhaft. »Was willst du jetzt tun?«, fragte ich ihn.
Das Funkeln in seinen Augen wurde von seinem Spitzbubenlächeln begleitet. »Auf nach Köln. Was sonst.«
19
Consiglio dei dieci
D er Rat der Zehn tagte unter dem offiziellen Vorsitz Pietro Dandolos im Dogenpalast im
sala delo scrutino
. Die
inquisitori dei stato,
eines der Organe des Großen Rates, von den Venezianern
i tre habi,
die drei Schreckgespenster, genannt, saß über ein anderes Ratsmitglied zu Gericht: Guglielmo Oradini, angeklagt des Hochverrats, der Verschwörung und der Sodomie. Des Weiteren angeklagt waren die Hure Felicia und ein junger Mann namens Angelo Flabanico – wegen derselben Vergehen. Tags zuvor hatte Faliero den Jüngling in seiner Zelle in den
piombi
aufgesucht. Die Hitze war unerträglich, und der Schweiß lief ihm schon herunter, kaum dass er eingetreten war. Trotzdem betrachtete er das Häufchen Elend, das schwitzend und zitternd in einer Ecke hockte, zufrieden. Er würde leichtes Spiel haben. Von der selbstgefälligen Schönheit des Jünglings war nichts mehr übrig.
»Du weißt, was dich erwartet.« Faliero lächelte gespielt mitleidig. »Auf Landesverrat steht der Tod. Und es wird kein leichter sein.«
»Herr!« Das Zittern nahm zu. »Ihr habt gesagt, wenn ich …«
»Schweig!«, donnerte Faliero. »Erwartest du etwa Milde? Du warst bereit, Venedig zu verraten! Es gibt kein schlimmeres Verbrechen.«
»Herr … ich hab doch nur …«
»
Was
hast du?«
»Ich hab …« Der Junge brach schluchzend ab und verbarg das Gesicht in den Händen.
Faliero trat zu ihm und hockte sich neben ihm auf die Pritsche. Er packte ihn an den Haaren und zwang ihn, ihn anzublicken. »Du hast Angst vor dem Tod. Du willst nicht sterben?«
»Nein Herr …«
»Oradini ist ein Verräter. Und diese Hure Felicia ebenfalls – und zwar in doppelter Hinsicht.«
»Ich weiß doch nichts.«
»Still!« Faliero löste seinen Griff aus den Haaren des Jungen.
»Also gut. Du sollst deine Chance bekommen. Hör genau zu. Ich erkläre es dir nur einmal.«
Pietro Dandolo, auf dem Kopf den
corno ducale,
den Mantel mit dem Hermelinkragen von goldenen Knöpfen und dem schmalen Gürtel mit der goldenen Schnalle zusammengehalten, eröffnete die Verhandlung. Er erklärte, er, der Doge, führe als Oberhaupt Venedigs den Vorsitz in diesem Gerichtsfall. Dann gab er das Wort an Marino Faliero weiter.
Die neun anderen offiziellen Ratsmitglieder der
signoria
waren um den langen Tisch im Saal versammelt, sichtlich bemüht, nicht gelangweilt zu wirken. Einer von ihnen war der Berater des Dogen Gentile Armani, der gähnend dem Gerichtsschreiber zuschaute, wie dieser Pergament und Feder bereithielt. Oradini und Felicia saßen angekettet auf schweren, im Boden verankerten Stühlen. Beide waren aschfahl, die Spuren der Auszehrung und der Angst im Gesicht. Von Zeit zu Zeit flackerten ihre Blicke zwischen Faliero und dem Jungen hin und her. Es war unschwer zu erkennen, dass sie fieberhaft überlegten, warum sie Fesseln trugen, Flabanico jedoch nicht.
Faliero, mit golddurchwirktem Brokatgewand und edelsteinbesetzten Schnabelschuhen, hatte sich erhoben und marschierte vor den Angeklagten auf und ab. Als er zu sprechen begann, spürte man, wie gerne er seine eigene Stimme hörte und dass er ebenso gern weit ausholte.
»Als Baiamonte Tiepolo anno 1310 Verrat an der Serenissima beging, rief der Große Rat den
consiglio dei dieci,
den Rat der Zehn, ins Leben. In den über vierzig Jahren seines Bestehens gab es zahlreiche Verhandlungen, die alle nur ein Ziel hatten: Wahrheit zu finden, Gerechtigkeit walten zu lassen, Urteile zu sprechen. Justitia, mit Waagschale und verbundenen Augen, ist dabei immer Wächterin gewesen – auf dass wir Richter weise und gerecht seien.« Faliero blieb vor Oradini stehen und starrte ihn nieder. Zufrieden wandte er sich Felicia zu. Alle seine Gefühle für sie hatte er
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