Die Knochentänzerin
hatte bereits
Freunde?
»Geschäftsfreunde.« William sprach mit aufgesetzter Beiläufigkeit. Umso mehr klang seine Rede wie die eines Aufschneiders. »Sie haben uns eine Audienz bei Erzbischof Wilhelm von Genepp zu Köln verschafft.«
»Wem?«
»Uns beiden.« William hielt die Prachtrobe in die Höhe. »Dafür ist das Gewand. Für dich habe ich auch etwas. Schließlich wollen wir nicht wie Bettler beim Erzbischof erscheinen.«
Hinter meiner Stirn begann es zu arbeiten. Woher hatte William den teuren Umhang? Warum wollte er vor den Erzbischof von Köln treten? Und diese Freunde? Waren das selbstlose Wohltäter, deren hehres Ziel einzig darin bestand, dahergelaufene Fremde in den Kölner Klerus einzuführen?
William, der mein verdattertes Gesicht sah, fühlte sich zu einer Erklärung bemüßigt. Sein rechter Arm beschrieb dabei einen vagen Halbkreis: »Natürlich musste ich dafür etwas investieren.«
»Investieren?«, wiederholte ich, ohne das Wort zu verstehen.
»Es ist doch selbstverständlich, dass man für lohnende Geschäfte einen gewissen Einsatz erbringen muss.«
»Was denn?«
»Geld, natürlich. Für die Kleider und für das da.« William kramte erneut im Beutel und hielt mir ein kunstvoll verziertes Kästchen und einen beringten Knochen unter die Nase.
»Was ist das?«
»Das …«, er fuchtelte mit dem Fingerglied vor mir herum, »… das ist unser Köder.«
Ich beäugte das Kästchen und den Knochen misstrauisch. Der Ring leuchtete blutrot in einer goldenen Fassung. »Mit Ködern fängt man Fische.«
»Oder einen Erzbischof«, grinste William und ließ die schrägen Strahlen der Abendsonne über den Stein des Rings tanzen.
»Warum musst du immerzu in Rätseln sprechen?«
»Was ist daran rätselhaft? Du weißt, weswegen wir in Köln sind. Es geht um die heilige Ursula und die Knochen von elftausend Jungfrauen. Wer wüsste darüber besser Bescheid als Wilhelm zu Köln. Um von ihm allerdings empfangen zu werden, bedarf es besserer Kleider als unserer – außerdem ist es nicht angebracht, mit leeren Händen vor den Erzbischof zu treten. Deshalb erwarb ich die Reliquie. Es ist ein Fingerknochen des heiligen Patrick.«
»Ein Knochen des heiligen Patrick? Er ist der Schutzpatron der Iren. Äbtissin Matilda sagt, meine Mutter war Irin!«
William grinste schlau. »Man
sagt
, es sei ein Knochen des Heiligen. Und ist es da nicht ein Wink des Schicksals, dass du Irin bist?«
»Ich bin nur eine halbe Irin, mein Vater ist Engländer.«
»Für Wilhelm zu Köln wirst du keine halbe Irin sein, sondern eine ganze.«
Milde lächelnd wies ich auf meine von der langen Reise staubige und zerrissene Kleidung. »Neben dir, in deinem Prunkgewand, werde ich ein jämmerliches Bild abgeben. Ein nobler Reliquienhändler – den du ja wohl darstellen willst – in Begleitung einer abgerissenen Herumtreiberin.«
William schüttelte den Kopf: »In Begleitung einer irischen Nonne. Genauer gesagt der Äbtissin des Klosters von Clonmacnoise, das an den Ufern des Flusses Shannon gelegen ist.«
»Was sagst du da?«
»In den Werkstätten deines Convents werden seit jeher kunstvolle Gegenstände hergestellt, bischöfliche Krummstäbe zum Beispiel, vor allem aber Reliquienbehälter und die dazu passenden Reliquien.«
»Woher weißt du all das? Und wie, bei Gott dem Allmächtigen, soll ich als Nonne …«
Wortlos zog William weitere Kleidungsstücke aus seinem Sack. Unschwer konnte ich einen abgetragenen braunen Franziskanerhabit nebst kleinem Karmel, Gürtel und Schleier erkennen. Zufrieden breitete William alles auf der Bettstatt aus.
Ich strich mit einem Finger darüber. »Das Zeug ist nass.«
William schien sich für einen Moment nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen und war zunächst nicht bereit, meine Worte zu kommentieren.
»Du hast doch nicht etwa …?«
Er zuckte mit den Schultern und grinste schief.
»Es ist gestohlen?«
»Da du deine Nonnenkleidung gleich nach unserer Flucht weggeworfen hast …«
Ich schnappte nach Luft. »Woher …?«
»Es war so …« William wand sich nun, dass ich mich an die Aale erinnert fühlte, die wir auf Icolmkill in Reusen gefangen hatten. »Ich ging so meines Wegs, da tauchte plötzlich eine Mauer auf. Ich spähte darüber, dahinter lag ein Nonnenkloster. Und dort, im Garten zwischen den Obstbäumen, war ein langes Seil gespannt.«
»Du bist über die Mauer geklettert …?«
»Ich tat es für dich! Du willst doch nicht etwas so« – er wies anklagend auf mein
Weitere Kostenlose Bücher