Die Knochentänzerin
zerschlissenes Reisegewand – »vor den Bischof treten?«
»Ich will überhaupt nicht …«
»Ich hab mein Leben riskiert, für dich! Ich nahm nicht einfach das nächstbeste Gewand! Nein – stell dir vor, jeden Augenblick hätte ich entdeckt werden können, doch ich nahm mir die Zeit, um für dich auch noch die passende Größe auszusuchen!« William senkte bescheiden den Kopf. »Jetzt weißt du alles. Auch, warum die Kleider nass sind.«
Er hatte es wieder einmal geschafft, mich sprachlos zu machen. Ich setzte mehrmals an, bis ich einen vernünftigen Satz herausbekam: »Und was …« Ich deutete auf den Purpurumhang. »… hat das alles gekostet?«
William flüchtete sich in sein Lausbubenlächeln. Doch ich ließ nicht locker.
»Wie viel?«
»Nun … du siehst ja … der Fingerknochen des heiligen Patrick ist eine Menge wert … schon allein der Ring … und dann noch das Kästchen …«
»Wie viel?«
William flüsterte irgendetwas.
»Warum sprichst du so leise?«
Er räusperte sich: »Ich sagte doch, wenn man Gewinne erzielen will, muss man erst einmal ordentlich investieren.«
Eine böse Vorahnung stieg in mir auf. »Du hast alles ausgegeben?«
»Ein weiterer Grund, warum ich das Nonnengewand nicht auch noch kaufen konnte.«
Ich rang nach Luft. Es war einfach unglaublich! »Man hat mich für ein Seeungeheuer an einen Pfahl gekettet – mein Leben stand auf dem Spiel, damit du ein paar Knochen verkaufen kannst – und nun …«
»Beruhig dich. Wenn ich mit dem Bischof einig bin, werden wir das Zehn-, ach was sag ich, das Hundertfache verdienen. Vertrau mir!«
»Dir – vertrauen? Du stiehlst Nonnengewänder …!«
»Ich hab es doch nicht wirklich gestohlen«, erklärte William mit großartiger Geste. »Als ich an diesem Obstgarten vorüberging …«
»… hing es herrenlos auf der Leine …«, vervollständigte ich seine Lüge, die mir irgendwie bekannt erschien. »Es hing im Obstgarten, und du musstest es nur noch pflücken wie einen Apfel. Es wäre ja schade gewesen um das gute Stück.«
»Genau.« William blickte ernst und freundlich, als hätte es nicht die Spur von Hohn und Spott in meiner Stimme gegeben. Zum dritten Mal verschwand sein Arm bis zur Schulter im Knochensack. Fein säuberlich breitete er sodann zwei abgeschabte Stücke Kuhhaut vor mir aus, glättete sie sorgfältig, stellte ein Tintenfässchen hin und legte eine fein gespitzte Krähenfeder daneben. »Jetzt Schluss mit dem Gezänk, ich sag dir, was du schreiben sollst.«
»Einen Moment!« Ich hob meine Hand, die im Zwielicht des scheidenden Tages einen düsteren Schatten über Williams Sammelsurium aus Pergamenten, Kleidern und rubinverziertem Fingerknochen nebst Kästchen warf. Der Schatten schwebte über alles hinweg, bis er auf den Schreibutensilien verharrte. »Weiß du nicht, dass der Teufel mit einer Rabenfeder schreibt?«
William schüttelte amüsiert den Kopf. »Wer behauptet so etwas?«
»Äbtissin Matilda vom Kloster auf Icolmkill.«
»Blödsinn. Wie jeder weiß, taucht der Teufel den gespitzten Nagel seines linken Mittelfingers in eine Tinktur aus Ziegenbockexkrementen, gemischt mit dem Blut der Verdammten, gekocht im Höllenfeuer.«
»Verdammt werden wir bald sein.«
William lachte. Er schlug seinen Flintstein gegen die Klinge des Knochenmessers, fing die in der Abenddämmerung springenden Funken mit Zunder auf, verwandelte sie in ein züngelndes Flämmchen und ließ dieses auf dem Docht eines armseligen Kerzenstummels tanzen. »Schreib«, befahl er erneut. »Fang an mit dem heiligen Patrick.«
Zögernd griff ich nach der Rabenfeder und hielt gleich wieder inne. »Wenn der Knochen echt ist, warum muss ich dann ein falsches Zeugnis schreiben? Was ist mit dem Original passiert?«
»Es ist …« Williams Zunge strauchelte. »… es ist … wohl … verloren gegangen.«
»Verloren gegangen.«
»So etwas kommt leicht vor. Die Welt ist voller Unwegsamkeiten. Wie schnell kommt etwas abhanden. Räuber …«
»… Diebe, wie du einer bist …«
»Jetzt hör schon auf. Und schreib, was ich dir diktiere.«
Da fiel mir ein, was ich schon die ganze Zeit hatte fragen wollen: »William, sag mir erst, was heißt
rodrige Hags
?«
»Rodrige Hags?«
William grinste. »Sieh dich an, dann weißt du, dass es nur eins bedeuten kann.«
»Was?«
»Was, wohl. Es heißt – rothaarige Hexe.«
24
Die heilige Ursula und elftausend Jungfrauen
U m zu Erzbischof Wilhelm zu Kölns Residenz zu gelangen, mussten wir den südlichen
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