Die Knochentänzerin
Verzweiflung, Krieg, Verrat, Lügen, Krankheit und Tod.
Wollte der Bischof, dass wir darüber nachdachten, während er uns hinter dieser Tür auf seine Gnade warten ließ, uns zu empfangen?
Wie dem auch sei, erneut mussten wir einen langen Weg zurücklegen, um zu dem Sessel zu gelangen, auf dem der Erzbischof saß. Der Saal maß fünfzig Schritte von der Tür bis zu seinem Thron, ich hatte sie gezählt. Unterwegs begegneten uns steinerne Apostel, von Wand und Deckengemälden blickten die Stationen des Kreuzwegs auf uns herab. Zunehmend empfand ich den Gang zu Wilhelm zu Köln als ebensolchen.
Zugegeben, der Erzbischof, flankiert von zwei schwarzgekleideten, krähengleichen Adjutanten, war eine imposante Erscheinung. Dies zeigte sich nicht sosehr durch körperliche Größe, denn selbst wenn er saß, konnte man sehen, dass er kleinwüchsig und schmalschulterig war. Auch das bischöfliche Gewand, zwar edel und aus feinem Stoff, doch keinesfalls überladen mit Gold und anderem Prunk wie das des Bischofs von Orkney, wirkte auf den Betrachter nicht übermäßig respekteinflößend – zumindest nicht mehr als der Rest der noblen Umgebung. Nein, es war zum einen die Art und Weise, wie er saß: aufrecht, würdevoll, in sich ruhend und scheinbar ewig während wie ein aus Stein gehauenes Monument. Zum anderen besaßen seine Augen etwas, das mich bannte. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was dieser Bann bedeutete. Nichts Gutes …
Während William und ich niederknieten und den Bischofsring küssten, sprach Wilhelm zu Köln segensreiche Grußworte. Seine Stimme klang warm und weich, bar jeden pfäffischen Singsangs oder belehrenden Tonfalls. Sodann gewährte er uns, den Blick zu heben und aufzustehen. Er war kein Mann von langen Reden und fragte ohne Umschweife nach unserem Anliegen. Ebenso rasch kam William zur Sache.
»Hochwürdige Eminenz …«
»Eminenz reicht.« Bischof Wilhelm zu Kölns Lächeln wirkte gütig und freundlich. »Hochwürdige Eminenz wäre so wie weißer Schimmel oder schwarzer Rappe.«
Oder wie glatter Aal fiel mir ein, ohne dass ich es aussprach.
William ließ sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen und korrigierte ebenso freundlich: »Eminenz. Wir sind weit gereist, um zum einen Eurem Bistum ein Geschenk zu überreichen. Eine wertvolle Reliquie aus Irland. Schwester Cailun, Gesandte der Äbtissin Aibhilin des Klosters von Clonmacnoise, das an den Ufern des Flusses Shannon gelegen ist, hat in diesem Kästchen einen Fingerknochen des heiligen Patrick, Schutzpatron der Iren.«
Artig hielt ich dem Bischof das Kästchen hin. Wilhelm zu Köln ignorierte es und fragte: »Zum anderen?«
Nun war William verwirrt. »Wie bitte?«
»Ihr habt gesagt: zum einen. Ein Geschenk. Nun frage ich: zum anderen?«
»Zum anderen. Natürlich. Nun ja. Wollt Ihr nicht zunächst die Reliquie in Empfang nehmen?«
»Gleich.« Erzbischof Wilhelm zu Köln ruckte in seinem Sessel. Er bewegte den Kopf hin und her, als versuchte er hinter William zu schauen. Dann erstarrte er wieder zur alten Würde. »Ihr seid gekleidet wie ein Kaufmann. Also folgere ich, dass Euch nicht nur eine Wohltat zu mir führt. Bei Euerm
zum andern
handelt es sich bestimmt um ein Geschäft.«
»Nun … gewissermaßen …«
»Ihr müsst nicht um den heißen Brei herumreden. Sagt es frei heraus. Auf welche Weise kann ich Euch als Kaufmann oder Händler helfen?«
Während ich noch immer das Reliquienkästchen hochhielt, zögerte William noch mit einer Antwort. Doch schließlich gab er sich einen Ruck.
»Eminenz, ich habe eine Frage.«
»Nur heraus mit der Sprache.«
»Es geht um die heilige Ursula.«
»Ah!« Der Erzbischof lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Jetzt verstehe ich. Ihr seid Reliquienhändler.«
William verneigte sich. »So ist es. Ich bewundere Euren Scharfsinn. Wie Ihr sicher wisst, kommt man als Händler weit herum – und man hört viel. Noch nie hat mich dabei etwas so beeindruckt wie die Geschichte der heiligen Ursula.« William pausierte kunstvoll, bevor er fortfuhr: »… und ihrer elftausend Jungfrauen.«
Wilhelm zu Kölns Miene blieb unbewegt. »Was habt ihr über sie gehört?«
»Nicht viel. Die Gerüchte besagen, die Gebeine der Heiligen und der Jungfrauen liegen bei Köln. Also hier.«
Der Erzbischof streifte erst William, dann mich mit einem Blick, der vieles besagen konnte, mir jedoch wieder jenes Unbehagen bescherte, das ich schon anfangs verspürt hatte. Trotz seiner gediegenen
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