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Die Knochentänzerin

Die Knochentänzerin

Titel: Die Knochentänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz-Josef Körner
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Kaufmann. Dessen wilde Bewegungen wurden erst halbherziger und erlahmten schließlich ganz.
    »Also«, fuhr der Mönch fort: »Lasst Euch erklären: Im Jahr des Herrn 1259 verlieh Erzbischof Konrad von Hochstaden unserer schönen Stadt das Stapelrecht. Dieses besagt, dass jeder Kaufmann – also zum Beispiel Ihr –, der durch Köln reist, seine Waren hier stapeln muss.«
    »Stapeln?«, fragte der Römer.
    »Das heißt – zum Verkauf anbieten.«
    »Wenn ich das aber nicht will?«
    »Dann bleibt es Euch belassen, einen Bogen um unsere schöne Stadt zu machen.«
    Ich sah noch, wie sich der Kaufmann hilflos zu seinem Tross umdrehte, der das gesamte Torhaus blockierte. Dann beschloss ich, meinen Weg entlang der Stadtmauer fortzusetzen.
    Wenig später erhielt ich Anschauungsunterricht über das, was William
status muri
genannt hatte. Schon seit ich am Torhaus links auf den Weg abgebogen war, der an der Mauer entlangführte, waren mir die Gebilde aufgefallen, die ich – hätte ich es nicht besser gewusst – für Schafsverschläge oder für primitive Schutzvorrichtungen gegen die Unbilden des Wetters für andere Tiere gehalten hätte. Es handelte sich meist um behelfsmäßig angebrachte Planen, die von der Mauer aus über Stöcke und Stangen gespannt waren, es gab aber auch das eine oder andere schiefe Holzdach, mit Zweigen und anderen Lückenfüllern zwischen den verwitterten Brettern. Genauer gesagt, eines dieser Dächer wurde gerade heruntergerissen, was Anlass für eine deftige Keilerei bot. Allerdings waren zunächst wenig Einzelheiten auszumachen, da sich die beiden Kontrahenten nun in einem wilden Knäuel über den aufgeweichten Boden wälzten. Sofort fand sich wie aus dem Nichts eine beachtliche Menge Zuschauer. Unter deren Johlen, Lachen, Anfeuerungsrufen und Beschimpfungen wurde rasch klar, wer die wüste Keilerei gewinnen und wer sie verlieren sollte. Publikumsliebling war ein verdreckter Einbeiniger, dessen eingeschlagene Nase und Kohlohren Zeugnis gaben, dass Prügeleien zu seinem Tagesgeschäft gehörten. Blindwütig wie ein Keiler trug er nun seine Attacken vor, mit denen er seinen Gegner wieder und wieder umwarf, obwohl er dazu nur auf einem Bein hüpfen konnte. Doch selbst den Stumpf des amputierten Beins benutzte er unbarmherzig für Schläge auf die empfindlichsten Stellen seines Gegners. Als dieser endlich in einer Pfütze aus Schlamm und wohl auch Blut liegen blieb, zog der Einbeinige ein Brett aus jenem Haufen, der vormals ein Dach gewesen war, und hieb es unter dem Jubel der Zuschauer dem regungslos am Boden Liegenden krachend über den Schädel. Sodann vollführte er vor seinem Publikum wie ein Gaukler eine vollendete Verbeugung, wobei er seine eingeschlagene Visage zu einem schauerlichen Grinsen verzerrte.
    Gerade wollte ich mich abwenden, als ich bemerkte, wie einige der Zuschauer ihre Aufmerksamkeit nun, da alles vorüber war, einem neuen Ziel zuwandten: mir. Unverhohlen glotzten sie herüber. Rasch wurde mir klar, dass ich es nicht gerade mit der feinsten Kölner Gesellschaft zu tun hatte. Genauer betrachtet handelte es sich um ähnliches Lumpenpack wie bei den beiden Streithähnen. Ich sah grinsende, zahnlose Mäuler, die irgendetwas auf Deutsch skandierten. Um freundliche Dinge handelte es sich wohl nicht. Ich merkte mir den Klang der fremden Worte, die sie mir zuriefen, nahm, als sie näher kamen, die Beine in die Hand und rannte den Weg an der Mauer entlang davon.
    Bald gelangte ich an eine steinerne Treppe, die auf den Wehrgang führte. Ich drehte mich um. Verfolger gab es keine, ich war schnell gelaufen, und wenn sie versucht hatten, mich einzuholen, hatten sie es längst aufgegeben. Ich gab der Verlockung auf eine schöne Aussicht nach und kletterte die Steinstufen hinauf. Ein Holzdach ruhte auf stabilen, teils mit Eisen beschlagenen Stützen. Hier gab es weder morsches Holz noch Moos, das wie auf Icolmkill die Mauern überwucherte. Ich strich mit der Hand über die Steine der Brustwehr. Sie waren kalt und glatt und fühlten sich gut an.
    Ich blickte hinunter auf den Rhein. Die Sonne hing tief am bleigrauen Himmel und verströmte den müden Schein einer Monstranz, deren Goldglanz in Kälte und Feuchtigkeit stumpf geworden ist. Ungleich der gälischen See war der Rhein keine leere, sturmgepeitschte Einöde. Es schien, als zerstöre dieses Wasser nicht alles Menschengemachte, sondern als sei es den Bewohnern von Köln untertan, von Nutzen. Auf dem Fluss herrschte reges Treiben. Fischer

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