Die Knopfmacherin
nach dem Ende der Probezeit davonzulaufen, wenn der Meister so gütig ist, mich bei sich zu behalten.«
Marga musterte sie abschätzig, doch wegen der ungebührlichen Äußerung rügen konnte sie das Mädchen nicht, denn im nächsten Augenblick trat der Meister zu ihnen.
»Lass sie in Ruhe, Marga«, zischte er seiner Schwester zu. »Daran, dass Melisande mein Lehrling ist, wirst du nichts ändern. Und nun lass uns gehen, bevor die besten Plätze weg sind.« Damit strebte er der Tür zu.
Marga funkelte Melisande an, als wollte sie die Knopfmacherstocher mit Blicken erdolchen, während ein feines Lächeln um Katharinas Mund spielte.
Melisande versuchte, sich ihr Unwohlsein nicht anmerken zu lassen, aber sie konnte nichts dagegen tun, dass sich an ihrem Rückgrat der Schweiß sammelte und ihr Hemd unangenehm an der Haut festklebte. Froh darüber, dass sie sich endlich in Bewegung setzten, wandte sie sich zu Bernhard um, der ihr aufmunternd zunickte. Zusammen mit Grete schlossen sie sich dem Meister und seiner Familie an.
Glockengeläut ertönte weithin über die Stadt. Wie das Wasser einer Quelle zum Ozean fließt, so strömten die Menschen durch die Straßen Speyers hin zu dem Gotteshaus im Herzen der Stadt. Egal ob reich oder arm, ob alt oder jung – alle wollten dabei sein, wenn der Bischof wie einst der heilige Martin feierlich in den Dom einzog.
Melisande war beeindruckt von den schönen Gewändern, die die reichen Bürger und Kaufleute zur Schau stellten. Die Knöpfe schimmerten golden oder silbern, einige davon waren sogar mit Edelsteinen besetzt.
Das Mädchen reckte immer wieder den Hals und versuchte die Menge zu überblicken. Vielleicht sehe ich Alina irgendwo, dachte sie hoffnungsvoll, während sie eine Haarsträhne zurück unter die Haube schob. Da Margas und Katharinas Blicke sie immer wieder wie spitze Pfeile trafen, wollte sie den beiden keinen Grund geben, sie beim Meister schlechtzumachen.
Auf dem Domplatz angekommen, hielt Bernhard Melisande zurück. Der Meister, Grete und die beiden Frauen gingen noch ein Stück weiter, und Ringhand traf nach wenigen Schritten auf Bekannte, die ihn sogleich in ein Gespräch verwickelten.
»Von hier aus sollten wir alles gut sehen können«, behauptete der Geselle.
Melisande nahm an, er wolle nur nicht in der Nähe der beiden Ringhand-Frauen stehen. Der Platz war nämlich ziemlich schlecht, denn einige große Männer standen ein paar Reihen vor ihnen und verdeckten die Sicht. Einen Blick auf den Bischof würden sie von hier wohl nicht erhaschen können. Katharina und Marga konnten sie allerdings auch nicht länger beobachten, denn rasch füllte sich die Lücke zwischen ihnen und den Ringhands.
»Du magst groß genug sein«, entgegnete Melisande, während sie sich auf die Zehenspitzen stellte. »Aber wie soll ich von hier unten den Bischof sehen?« Und seine Männer, setzte Melisande in Gedanken hinzu, denn sie fragte sich, ob vielleicht auch die Mörder ihrer Eltern im Gefolge des Gottesmannes mitritten.
»Ich könnte dich auf die Schultern nehmen«, entgegnete Bernhard verschmitzt. »Oder im richtigen Moment hochheben.«
»Was soll denn der Meister dazu sagen?«, erwiderte sie leicht empört. »Wir dürfen uns nicht unschicklich verhalten.«
»Was ist schon dabei?«
»Du bist Geselle und ich bin Lehrling. Außerdem ist der Meister in unserer Nähe. Seine Schwester wird ihm die Hölle heißmachen, wenn wir uns auch nur die geringste Dummheit erlauben. Außerdem hast du selbst mitbekommen, dass sie danach trachtet, mich loszuwerden.«
»Kein Wunder, wenn du ihrer Tochter eine Maulschelle verpasst!«
»Meinst du, Katharina hat es ihr gesagt?«
»Möglich wäre es. Doch du hast auch gehört, was der Meister gemeint hat. Es wird ihr nicht gelingen, dich aus der Werkstatt zu jagen. Wenn ihre Tochter erst einmal heiratet, wird sie sich eh um andere Dinge kümmern müssen.«
Auf einmal kam Melisande wieder in den Sinn, was Grete gesagt hatte. Sie versuchte, die Haushälterin im Getümmel auszumachen, das sich immer weiter um sie zusammenzog, konnte sie jedoch nirgends entdecken.
Am liebsten hätte sie Bernhard von ihrem Gespräch am Morgen erzählt, doch dann erinnerte sie sich wieder daran, dass Grete sie ermahnt hatte, es nicht zu tun.
Da sie ein Kribbeln auf der Wange verspürte, wandte sie den Kopf nach rechts. Als sich ihr und Katharinas Blick trafen, wandte sich Letztere schnell ab.
Sie wird mir nie vergessen, dass ich sie geohrfeigt habe, dachte
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