Die Knopfmacherin
Noch regte sich dort nichts. War sie vielleicht eingeschlafen?
Als er schon nachsehen wollte, knarrte die Hintertür des Hauses. Melisande hatte sich den breiten Schlapphut geborgt, den der Meister immer trug, wenn er bei Regenwetter in die Stadt musste. Und auch ihre Kleidung kam ihm bekannt vor.
»Das sind ja meine Beinkleider«, flüsterte er.
»Ja«, gab Melisande kleinlaut zu. »Verzeih, dass ich dich nicht gefragt habe.«
»Ich dachte schon, jemand hätte sie Grete von der Leine gestohlen.« Bernhard winkte ab. »Keine Bange, die Hose habe ich ohnehin nicht gern getragen. Bin wohl rausgewachsen.«
»Für mich war sie gerade richtig!« Damit schlug sich Melisande den Mantel um die Schultern und durchquerte die Pforte.
Während sie nebeneinander durch die Stadt gingen, fühlte sich Melisande, als hätte sie Glassplitter gegessen. Alles in ihr ziepte, stach und zwickte. Sie wusste nicht, wovor sie mehr Angst hatte: davor, dass Joß Fritz gelogen haben könnte, oder davor, dass Alina wirklich im Hurenhaus war. Am liebsten hätte sie Bernhard bei der Hand gefasst, doch sie traute sich nicht.
»Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir das Richtige tun«, bemerkte Bernhard, als sie um die Ecke bogen.
Der sonst so ruhige Ort war ziemlich belebt, offenbar hatte einigen Männern im Anschluss an die Prozession der Sinn nach fleischlichen Freuden gestanden.
Dass einige von ihnen Melisande trotz der Männerkleider unverhohlen anstarrten, kümmerte sie nicht. Vor Augen hatte sie nur das Gesicht ihrer Schwester.
»Ich muss wissen, ob Alina dort ist!«, entgegnete sie entschlossen.
Es war ihr egal, ob sie Ärger bekam oder nicht. Ihr Herz glaubte Joß Fritz, auch wenn sie ihn noch immer für das Geschehen von damals hasste. Wenn es ihr jetzt gelang, Alina zu befreien, durfte sie endlich Pläne für die Zukunft schmieden. Vielleicht konnte sie ja sogar in Speyer bleiben. Die Hurenwirtin würde sicher nicht im Haus des Knopfmachers nach Alina suchen.
Ein klägliches Jaulen ließ Melisande innehalten. Sie sah, wie ein Mann mit einer Gerte ausholte und auf einen kleinen Hund einprügelte. Zorn wallte in ihr auf. Wie konnte sich ein so großer Mensch nur an so einem kleinen Tier vergreifen?
Bevor sie etwas tun konnte, zerrte Bernhard sie weiter. »Du kannst sowieso nichts machen, außer dir selbst Prügel einfangen. Lass uns weitergehen, damit wir noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück sind.«
Nachdem Bernhard einen Mann nach dem Weg gefragt hatte, gelangten sie schließlich zum Hurenhaus. Der Bau wirkte so krumm wie die Geschäfte, die die Wirtin darin tätigte. Dem Gesellen entging nicht, dass einige grobschlächtige Männer das Gebäude bewachten. Zwei von ihnen lungerten wie zufällig an den Hausecken herum, doch ihre umherschweifenden Blicke verrieten, dass sie das Haus streng bewachten und nur auf den Ruf ihrer Herrin warteten.
Als Melisande eintrat, sank ihr nun doch ein wenig der Mut. Noch nie zuvor war sie in einem Hurenhaus gewesen! Der Ort ähnelte einer Schenke, allerdings einer sehr schäbigen, und es roch stark nach Wein, Essensdunst und Rosenwasser.
Einige Männer an den Tischen hatten Mädchen auf dem Schoß, die ihnen neugierige bis missgünstige Blicke zuwarfen. Andere Frauen warteten offenbar noch auf Freier, während ein Fidelspieler eine Weise zum Besten gab.
»He, Kleine, willst du dich hier verdingen?«, fragte eine kräftige Hure. Sie ähnelte der Frau, die Melisande einst im Wirtshaus angesprochen hatte. Offenbar konnte sie mit ihrem Aufzug niemanden täuschen.
Melisande schoss das Blut in die Wagen, als sie bemerkte, dass sämtliche Anwesende ihre Blicke auf sie richteten. »Ich möchte mit der Hurenwirtin reden«, antwortete sie, während sie versuchte, ihre Unsicherheit und ihr Unwohlsein zu verbergen.
Die Frau musterte sie von Kopf bis Fuß, dann wandte sie sich Bernhard zu. »Und du, Kleiner?«
»Ich begleite sie.«
»Was gibt es da zu schwatzen?«, bellte plötzlich eine Frauenstimme.
Als Melisande erschrocken herumwirbelte, erblickte sie eine dicke Frau in prächtigen Gewändern, die nicht so recht zu ihr zu passen schienen.
»Die Kleine und der Bursche hier wollen zu Euch, Herrin!«
Die Hurenwirtin kam auf die beiden zu. Melisande schauderte unter ihrem abschätzenden Blick. Solch einem Weib sollte Alina in die Hand gefallen sein? Gegen die Frau konnte ihre Schwester sich nie und nimmer wehren!
»Was gibt es denn?« Die Wirtin funkelte Melisande böse an, dann riss sie
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