Die Knopfmacherin
sie abwimmeln. Aber irgendwann müssen wir es ihr sagen.«
Melisande schaute ihm nach, wie er mit langen Schritten zur Tür eilte, dann blickte sie wieder aus dem Fenster. Rechtzeitig vor der Tür fing Bernhard die Schwester des Meisters ab.
Melisande hielt den Atem an und lauschte.
»Dem Meister ergeht es heute nicht wohl«, sagte Bernhard ruhig und bestimmt.
Marga legte den Kopf schief. »Was hat er denn?«
»Es ist nur ein leichtes Unwohlsein, doch er hat sich zur Ruhe begeben und mir aufgetragen, dass er nicht gestört werden will.«
Die Schwester des Meisters schnaufte vernehmlich. Würde sie dennoch verlangen, ihren Bruder zu sehen? Vorsichtshalber zog sich Melisande vom Fenster zurück. Die Stimmen drangen nur noch gedämpft zu ihr herüber, doch schließlich stampften Schritte zum Tor. Wenig später kehrte Bernhard in die Werkstatt zurück.
»Ich bin nicht sicher, ob das richtig war«, bemerkte Bernhard, während er sich wieder an seinen Platz begab.
»Warum denn nicht? Du hast Marga davon abgehalten, den Zustand ihres Bruders noch weiter zu verschlimmern.«
»Das schon, aber würdest du nicht wissen wollen, wie es deiner Schwester geht?«
Melisande presste ertappt die Lippen zusammen. Natürlich würde sie das wissen wollen. Allerdings war das Verhältnis zwischen ihnen auch ein anderes als beim Meister und Marga.
»Sie wird in den nächsten Tagen sicher noch einmal vorbeikommen, dann werden wir es ihr sagen«, beschloss Bernhard und nahm seine Arbeit wieder auf.
Melisande entging nicht, dass seine Bewegungen fahrig wirkten, so als würde er ihr zürnen.
»Bitte verzeih mir«, murmelte sie kleinlaut, worauf er aufblickte.
»Dir verzeihen?« Bernhard hob verwundert den Kopf. »Du hast mich doch nicht verärgert!«
»Weshalb wirkst du dann so wütend?«
»Weil …« Der Geselle stockte, dann legte er sein Werkzeug weg, damit er die Knopfplatte nicht verdarb. »Weil ich fürchte, dass wir schon bald eine neue Herrin haben werden.«
Melisande schnappte nach Luft. »Sag bitte nicht so was! Der Meister ist nach wie vor am Leben!«
»Aber Gott allein weiß, wie lange noch! Jeden Abend bete ich, damit er wieder gesundet, doch offenbar erhört Gott mich nicht.« Verzweifelt schlug er auf die Tischplatte.
Melisande hätte ihn gerne getröstet, aber ihr wollten die passenden Worte nicht einfallen. Verlegen blickte sie auf den halb fertigen Knopf vor ihr.
»Genauso ist es mit dir!«, fuhr Bernhard fort. »Ich habe so sehr gehofft, dass wir deine Schwester finden, und dann legt uns Gott schon wieder eine Prüfung auf. Wenn der Meister stirbt, wird dein Vorhaben nicht leichter werden. Aus diesem Grund will ich Marga nicht verärgern.«
Die Sorge in seiner Stimme rührte Melisande zu Tränen. Unvermittelt erhob sie sich, ging zu ihm und schlang ihm die Arme um die Schultern.
»Marga wird mich so oder so fortschicken, das weißt du genauso gut wie ich.«
»Aber ich will nicht, dass du gehst!«, sagte Bernhard fast schon verzweifelt, dann wandte er sich um und zog sie an sich. »Ich mag dich nicht nur, ich liebe dich, Melisande Bruckner! Merkst du das denn nicht?«
Bevor Melisande etwas darauf erwidern konnte, spürte sie auch schon Bernhards Lippen auf den ihren. In seinem Kuss lag dieselbe Verzweiflung wie in seiner Stimme, doch das kümmerte Melisande nicht. Sie spürte dasselbe Flattern in der Magengrube, das sie immer dann überkam, wenn sie in Bernhards Nähe war. Jetzt wusste sie auch, was es war.
Am Abend, der schneller zu nahen schien als gewöhnlich, ging Melisande in den Stall. Grete hatte sich vor einigen Minuten in Richtung Nachbarhaus verabschiedet, um sich etwas Salz zu borgen. Melisande vermutete aber eher, dass sie der Nachbarin, die sie seit langem kannte, ihr Herz ausschütten wollte. Da der Meister ruhig schlief, beschloss Melisande, sich um das Vieh zu kümmern. Bernhard war von seinem Botengang noch immer nicht zurück, und die Kuh muhte bereits heftig vor Hunger und ein volles Euter hatte sie auch.
»Ist ja schon gut«, sagte Melisande, als sie einen Armvoll Heu zum Futtertrog schleppte. »Gleich bist du erlöst.«
Während das Tier den Kopf in das Heu steckte und zu kauen begann, holte das Mädchen den Milcheimer aus der Küche. Zuvor ging sie jedoch noch zum Hühnerstall, um die Eier einzusammeln. Sie hatte gerade etwas Korn aus der Futtertonne genommen, als jemand sie von hinten packte.
In der Annahme, es sei Bernhard, der sie nur ein wenig erschrecken wollte, juchzte
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