Die Knopfmacherin
schloss kurz die Augen.
In der Nacht fand Melisande keinen Schlaf, was allerdings nicht an der pochenden Wunde an ihrem Arm lag. Immer wieder wanderte ihr Geist zurück zu dem Augenblick, als der Fremde vor ihr aufgetaucht war. Hatte sie damals schon den Traum beunruhigend gefunden, jagte ihr der Gedanke, was geschehen wäre, wenn der Fremde zum Zug gekommen wäre, einen furchtbaren Schrecken ein. Es gab nur einen Menschen, der sie beruhigen und in dieser Nacht über sie wachen konnte.
Auf eiskalten Füßen und mit zitternden Händen huschte Melisande nur wenige Minuten später aus ihrer Kammer. Vor Bernhards Tür musste sie diesmal nicht lange warten. Auch er schien keinen Schlaf gefunden zu haben, wie sein wacher Blick verriet. Diesmal brauchte Melisande ihm nicht zu erklären, warum sie zu ihm wollte. In stummem Einvernehmen ließ er sie ein.
Melisandes Herz raste. Während sie den Geruch nach Bettfedern und seinem Körper einatmete, wusste sie, weshalb sie wirklich hier war. Er hatte ihr gestanden, dass er sie liebte, und sie empfand ebenso. Brauchte es für zwei Menschen mehr, um einander in der Nacht zu bewachen?
»Hattest du wieder einen bösen Traum?«, fragte der Geselle, während er vor sie trat.
Melisande schüttelte den Kopf. »Nein, ich musste nur daran denken, was hätte passieren können, wenn mich der Kerl …«
»Schsch«, machte Bernhard und beugte sich zu ihr herunter. »An das, was alles hätte passieren können, sollte man nie denken.«
»Du kennst sehr viele kluge Sprüche«, entgegnete sie, doch ihre Stimme klang nicht halb so neckend wie beabsichtigt.
»Mag sein. Aber bisher habe ich mit kaum einem falsch gelegen. Mit diesem hier verhält es sich ebenso.«
Ohne dass Melisande wusste, wie ihr geschah, spürte sie plötzlich seine Lippen auf ihrem Mund. Er küsste sie sanft, forschend, dann zog er sich wieder zurück und sah sie an.
Das, was Melisande nun in Bernhards Augen erblickte, war Verlangen, und diesmal sah sie keinen Grund, es erschreckend zu finden. Der Mann im Stall hätte ihr ohne zu zögern ihre Jungfräulichkeit geraubt, wenn er nur gekonnt hätte. Bernhard dagegen war der Mann, den sie liebte. Wenn sie jemandem ihr Kostbarstes schenkte, dann ihm.
Diesen Wunsch schien Bernhard ihr von den Augen abzulesen, denn er zog sie fest an sich. »Wenn du noch warten willst, lasse ich dich gehen«, flüsterte er, während er mit den Lippen ihre Wangen streifte. »Es wird mir schwerfallen, aber ich möchte nichts tun, was dich verletzt.«
»Ich will nicht länger warten«, entgegnete Melisande, während sie zögerlich die Hand über seine Brust gleiten ließ.
Bernhard zuckte unter ihrer Berührung kurz zusammen, dann küsste er sie leidenschaftlich und schob ihr sanft das Hemd von den Schultern. Im Schein des Mondes sanken sie auf sein Bett, und Bernhard begann ihre Haut mit sanften Küssen zu bedecken. Melisande spürte sein Begehren überdeutlich und ließ sich davon mitreißen. Fasziniert beobachtete sie, wie er sich die Hose herunterzog und sich ihr näherte.
Als er in sie eindrang, nahm der Schmerz ihr beinahe den Atem. Als Bernhard Tränen in ihren Augen glitzern sah, hielt er inne. »Soll ich aufhören?«, fragte er zweifelnd, obwohl er wusste, dass ihm dies nicht leichtfallen würde.
»Nein«, wisperte Melisande, denn nachdem er eine Weile innegehalten hatte, verschwand das Gefühl und wich einem Verlangen, das sie nie zuvor gespürt hatte.
Fest zog sie ihn an sich und folgte seinen Bewegungen mit wachsender Lust, bis er schließlich zusammenzuckte. Erst glaubte sie, Schmerz würde sein Gesicht so verzerren, doch dann spürte sie, wie er sich in sie ergoss. Das Brennen in ihrem Leib bündelte sich in ihrem Schoß, um in einer atemberaubenden Welle durch ihren gesamten Körper zu strömen. Erschöpft und schwer atmend blieben sie eng aneinandergeschmiegt liegen.
Während Bernhard das Gesicht an ihrer Schulter barg, überkam sie eine bleierne Schwere. Kurz fragte Melisande sich, ob sie das Richtige getan hatte, doch in diesem Augenblick gab es nur eine Antwort darauf. Nirgendwo anders wäre sie jetzt lieber gewesen als in Bernhards Armen.
Am nächsten Morgen erwachte sie schon früh und betrachtete verstohlen Bernhards Körper, der nackt neben ihr lag. Kurz überkam sie ein schlechtes Gewissen, denn im Stockwerk unter ihnen rang der Meister mit dem Tod.
Doch wie sollte man dem Schnitter besser begegnen als mit dem Leben?
Jetzt fange ich auch schon mit diesen weisen
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