Die Knopfmacherin
geknöpft. Der Geruch von Bettfedern und fettigen Laken war Übelkeit erregend.
Trotzdem war sie froh, dass sie nicht allein zum Haus zurückgehen musste.
»Ich habe meine Knechte geweckt, sie kommen gleich hinterher«, sagte der Tuchmacher, dann legte er eine Hand auf Melisandes Schulter. »Geh voran.«
Während sie auf wackligen Beinen vorausschritt, schoss ihr durch den Kopf, dass die Frau des Tuchmachers wahrscheinlich alles haarklein unter die Leute bringen würde, was ihr Mann ihr berichtete. Nicht umsonst war Agathe als eines der größten Schandmäuler von Udenheim bekannt.
Aber letztlich würde sich die Nachricht sowieso wie ein Lauffeuer verbreiten. Und vielleicht war es sogar gut so. Melisande hoffte inständig, dass sich Leute bereiterklären würden, ihr bei der Suche nach ihrer Schwester zu helfen.
An der Haustür bleib sie stehen. Auf einmal war ihr, als könnte sie die Beine nicht mehr bewegen. Markward blickte sie verwundert an, trat dann aber an ihr vorbei ins Haus.
»O mein Gott!«, raunte er, als er der Toten ansichtig wurde. Trotz des spärlichen Lichts konnte er das Ausmaß des Unglücks deutlich erkennen.
Melisande zwang sich, nicht zu der Leiche ihres Vaters zu sehen, die sie auch von hier draußen hätte sehen können.
Wenig später trafen Markwards Knechte ein und stießen einen entsetzten Schrei aus, als sie die Toten bemerkten.
»Ulrich, lauf zum Stadtvogt und berichte ihm, was du gesehen hast«, wies der Tuchmacher den älteren der beiden Burschen an, der sich unverzüglich in Bewegung setzte. Dann wandte sich Markward an Melisande. »Komm mit mir, mein Mädchen, dies ist kein Ort, an dem du bleiben solltest.«
Warum fragt er nicht nach meiner Schwester?, dachte Melisande, während der Tuchmacher sie zu seinem Haus führte. Denkt er, dass Alina ebenfalls tot ist? Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass die Reiter ihre Schwester entführt hatten, doch sie brachte die Worte nicht hervor. Ihre Gliedmaßen fühlten sich an, als würden sie von einem Stockpuppenspieler geführt. Ja, sie selbst fühlte sich, als wäre sie ganz und gar aus Holz, das der Winter bis in die tiefsten Tiefen durchgefroren hatte.
Im Haus wartete bereits Agathe Markward auf sie. Über dem grobleinenen Untergewand trug sie einen dunkelgrünen Überwurf, der unter der Brust mit einer breiten Borte besetzt war. Neugier funkelte in ihren blassgrauen Augen. Nur Melisandes Gegenwart hielt sie davon ab, ihren Gemahl sogleich mit Fragen zu löchern.
»Agathe, kümmere dich um das Mädchen. Im Haus der Bruckners ist Schreckliches geschehen, ich glaube, sie könnte eine kräftige Brühe gut vertragen.«
Der Tuchmacherfrau war anzusehen, dass sie gern mehr erfahren hätte. Da ihr Mann aber sogleich wieder durch die Tür verschwand, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich des Mädchens anzunehmen.
»Du Ärmste, was ist denn geschehen?«
Melisande antwortete nicht. Sie hätte es tun können, aber sie wollte mit ihren Worten die Bilder, die sie immer noch vor Augen hatte, nicht schlimmer machen. Den Knopf des Mörders hielt sie weiterhin fest umklammert.
Agathe betrachtete das Mädchen wie ein seltenes Tier. »Der Schreck hat dir wohl die Sprache verschlagen«, stellte sie dann fest. »Verständlich. Na los, komm.«
Sie fasste Melisande bei der Hand und zog sie mit sich zu der steinernen Bank, die von einem Lammfell bedeckt wurde, gleich neben der Esse.
»Ich werde dir ein wenig Brühe machen. Falls du mir doch noch erzählen willst, was los war, nur zu.«
Aber Melisande dachte nicht daran. Während Agathe das Feuer in der Esse entzündete und schürte, starrte sie aus dem Fenster, den Blick auf die Bilder in ihrem Innern gerichtet.
Irgendwann erschien Stadtvogt Gernold Sundermann mit den Gehilfen des Totengräbers auf dem Hof des Knopfmachers.
Melisande, die gar nicht bemerkt hatte, dass Agathe eine Suppenschüssel neben ihr abgestellt hatte, erhob sich und trat ans Fenster.
Der Tuchmacher und seine Gesellen waren noch immer drüben. Vielleicht war ihnen ja inzwischen aufgefallen, dass Alina fort war. Sie kannten ihre Schwester beinahe noch besser als sie selbst, denn Alina war so gut wie jeden Tag auf dem Hof gewesen und hatte mit ihnen gescherzt.
»Schlimme Sache, schlimme Sache«, murmelte Agathe vor sich hin, als könnte sie das Schweigen ihres Gastes nicht länger ertragen. »Wer sich nicht alles in der Stadt herumtreibt. Man kann ja kaum noch ohne Angst auf die Straße gehen. Ja, nicht mal in seinem
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