Die Knopfmacherin
vielsagende Blicke. In Melisande keimte ein Verdacht auf, der sich zu bestätigen schien, als der Pater sagte: »Soweit wir wissen, hast du keine Angehörigen mehr …«
»Ich habe noch eine Schwester«, platzte Melisande heraus. »Sie ist von den Mördern entführt worden. Und man täte besser daran, nach ihr zu suchen!«
Der Pater fühlte sich sichtlich unwohl.
»Das Mädchen ist sicher …«
»Nein!« Melisande fuhr auf. »Meine Schwester ist nicht tot! Und sie ist auch nicht, wie manche Gerüchte besagen, freiwillig mit den Reitern gegangen. Sie haben Alina einfach wie einen Kornsack über das Pferd geworfen und sind mit ihr davongeritten. Die beiden vermeintlichen Schuster mögen vielleicht Schuld auf sich geladen haben, aber jene, die ihrer habhaft werden wollten, tragen noch eine größere Schuld, denn sie haben zwei unschuldige Menschen ermordet. Vielleicht solltet Ihr nach jenen ebenso Ausschau halten wie nach den Aufrührern.«
Am ganzen Leib zitternd blickte Melisande auf ihre Besucher herab. Die Wut tobte in ihrer Brust wie ein tollwütiger Hund. Aber welchen Grund gab es, sich zurückzuhalten?
Der Sekretär lächelte sie spöttisch an. Der Blick der Ordensfrau wurde stechend. Das Gesicht des Paters war zornesrot.
Fieberhaft überlegte Melisande, wie schnell sie zur Tür kommen konnte, sollten diese Leute die Absicht haben, sie mitzunehmen und in einem Kloster verschwinden zu lassen.
»Nun denn, es ist nicht gesagt, dass die Männer, die deine Eltern getötet und deine Schwester verschleppt haben, dem Gesetz dienten. Es wäre durchaus möglich, dass sie auf der Suche nach den Aufständischen waren, weil sie mit ihnen noch ein Hühnchen zu rupfen hatten. Oder weil sie den Anführer bestrafen wollten, weil er sich bei der letzten Zusammenkunft feige aus dem Staub gemacht hat.«
Die Stimme des Sekretärs klang, als wäre er von dem, was er da sagte, vollkommen überzeugt. Doch Melisande hatte noch immer die Worte ihres Vaters im Ohr. Jene Worte, die von den Männern des Bischofs sprachen.
Nur wie soll ich es ihnen beweisen?, schoss es ihr durch den Sinn. Der Knopf, den der Vater ihr gegeben hatte, hätte an jedes beliebige Wams geheftet sein können. Außerdem wollte sie den einzigen Beweis nicht in die Hände dieser Leute geben, die ganz offenbar vorhatten, ihre Gedanken zu verwirren und sie zum Schweigen zu bringen.
Auf einmal war ihre Kehle wie zugeschnürt.
Der Sekretär glaubte wahrscheinlich, sie überzeugt zu haben, denn er fuhr fort: »Da wir davon ausgehen müssen, dass deine Eltern Opfer der Rebellen wurden, wollen wir dir natürlich Hilfe zukommen lassen.«
»Hilfe?«, fragte Melisande misstrauisch.
»Ich möchte dir anbieten, in unser Kloster einzutreten. Man wird für dich sorgen, und wenn du willst, kannst du eines Tages die Weihe zur Ordensschwester erhalten.«
»Aber ich bin nur die Tochter eines Handwerkers und kann Euch keine Mitgift geben«, entgegnete Melisande. »So ist es doch Brauch, wenn ein Mädchen mit Gott vermählt wird, nicht wahr?«
»Natürlich, aber in diesem Fall …« Die Oberin blickte zum Sekretär hinüber.
Der sprang ihr sofort bei. »Ich bin sicher, dass der Graf dir einen angemessenen Betrag zur Verfügung stellen wird.«
Melisande glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Warum sollte der Graf für mich aufkommen?, wunderte sie sich. Warum wollen sie mich in ein Kloster stecken? Damit ich nicht weiter nachforsche? Damit ich den Mund halte?
Die Antworten waren erdrückend. Wahrscheinlich hatte er selbst die Hand mit im Spiel, und nun hat ihn das schlechte Gewissen gepackt.
»Ich gehe in kein Kloster«, entgegnete Melisande entschlossen.
»Aber bedenke …«
»Ich habe bereits alles bedacht«, fuhr Melisande der Ordensfrau über den Mund. »Da mein Vater keine weiteren Erben hat, werde ich die Werkstatt weiterführen. Das habe ich ihm versprochen, kurz bevor er gestorben ist. Und der Wunsch eines Sterbenden ist heilig, nicht wahr?«
»Eine Frau kann unmöglich allein einen Handwerksbetrieb führen«, meldete sich Pater Johannes zu Wort. »Zumal so eine junge.«
»Ich habe von meinem Vater alles mitbekommen, was ich brauche, um die Werkstatt zu übernehmen. Und wer sagt denn, dass ich es allein tun will? Ich kann mir einen Gesellen suchen. Oder heiraten. Ich danke Euch sehr für Eure Bemühungen, aber ich habe nicht vor, mein Handwerk aufzugeben und mich Gott zu widmen.«
Die Augen der Oberin verengten sich. »Ist das dein letztes Wort?«
»Ja,
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