Die Knopfmacherin
Folter. Doch diesmal brauchte er keine Hilfe.
Sonnenlicht beleuchtete die Mauern und Türme, die den Burghof umstanden. Wächter und Bedienstete eilten über den Hof, beißender Mistgestank stieg ihm in die Nase. Das war also die Domburg …
Vielleicht sollte ich, wenn alles vorbei ist, den deutschen Landen den Rücken zukehren?, überlegte Lukas, als sie ihn die Treppe hinaufführten. Von spanischen Söldnern hatte er gehört, dass ein gewisser Christoph Kolumbus die neue Welt bereiste. Eine Welt voller Gold und Schätze. Eine gefährliche Welt, sicher, denn es sollte in ihr auch wundersame Wesen und grausame Monstren geben, doch da er nichts anderes gelernt hatte als das Kriegshandwerk, würde er sich dort sicher zurechtfinden.
Die Straße nach Norden war an diesem Morgen nur wenig befahren. Ein Eselskarren kam Melisande entgegen, zwei Reiter überholten sie, doch die meiste Zeit verbrachte sie allein, lediglich begleitet von den Rufen der Krähen auf den Feldern.
Nach einer Weile traf sie auf einem der Äcker eine Bauernfamilie. Selbst die jüngsten Kinder halfen mit, indem sie kleinere Steine vor der Pflugschar forträumten, damit sie nicht stumpf wurde. Melisande war erschüttert über das elende Aussehen der Menschen. In der Stadt sahen nur Bettler so aus. Diese Leute hier dagegen arbeiteten fleißig für ihr Brot!
Wo hatte ich früher bloß meine Augen?, fragte sich Melisande. Habe ich, wenn Vater und ich nach Speyer gereist sind, jemals bemerkt, wie schlecht es den Bauern geht? Habe ich sie jemals wirklich wahrgenommen?
Tiefes Mitleid überkam sie. Soll ich ihnen vielleicht ein paar Taler überlassen?
In dem Augenblick sah eines der Kinder neugierig zu ihr herüber. Mit seinem rotblonden Haar erinnerte es Melisande an ihre Schwester, als sie noch ganz klein war. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie in ihr Bündel griff und zwei Münzen hervorzog.
Auf ihren Wink hin löste sich das Mädchen von den anderen und kam zu ihr herüber.
»Hier, meine Kleine, nimm das.« Melisande ging in die Hocke und legte dem Mädchen die Münzen in die Hand.
Das Kind sah sie mit großen Augen an, dann wirbelte es herum und rannte zu seiner Familie zurück und präsentierte stolz das Geschenk. Verwundert blickten die Bauern in ihre Richtung. Melisande wollte sich gerade wieder das Bündel über die Schulter werfen, als der Vater mit langen Schritten auf sie zukam. Die Kleidung des Mannes war verschmutzt, sein Gesicht schlecht rasiert. Zorn funkelte in seinen Augen, als er Melisande die Münzen entgegenstreckte.
»Warum habt Ihr meiner Tochter diese Münzen gegeben? Wir brauchen keine Almosen!«
Melisande wich erschrocken zurück. »Ich wollte Eurer Tochter nur ein Geschenk machen«, antwortete sie schnell. Dass sie den Stolz dieser Leute kränken würde, hatte sie nicht bedacht. »Sie erinnert mich an meine kleine Schwester …«
Der Mann blickte sie misstrauisch an. »Wolltet Ihr Euch das Kind kaufen, oder was?«
Warum ist er nur so wütend?, fragte sich Melisande. Es war doch nur ein gut gemeintes Geschenk. »Nein, bei Gott, ich schwöre Euch, ich hatte keinerlei Hintergedanken«, versuchte sie den Mann zu beschwichtigen. »Es ist nichts weiter als ein Geschenk. Ich wollte Euch damit nicht kränken.«
Der Mann griff nach ihrer Hand und legte die beiden Münzen grob hinein. »Eure Absicht mag ehrenhaft sein, aber ich sage es noch einmal: Wir brauchen keine Hilfe. Unser Brot erarbeiten wir uns mit unseren Händen und Gottes Hilfe!«
Damit wandte sich der Mann um und stapfte zu seiner Familie zurück. Das Mädchen, das sich hinter seiner älteren Schwester versteckte, blickte enttäuscht zu ihr hinüber.
Auch in Melisande tobte Enttäuschung. Was machte diesen Mann so zornig, dass er nicht einmal ein Geschenk annehmen wollte?
Seufzend nahm sie das Bündel und ließ die Bauernfamilie hinter sich.
Nach zwei Stunden Wanderung entlang des Altrheins rastete Melisande. Mittlerweile stand die Sonne direkt über ihr. Ihre Füße brannten, und ihre Kehle war wie ausgetrocknet. Sie ließ sich auf einen Stein nieder und öffnete das Bündel. Dabei fiel ihr wieder die Schachtel mit den Brautknöpfen ins Auge. Wehmütig strich sie über den Deckel und machte sich dann über den Proviant her. Als sie fertig war, band sie alles wieder zusammen und setzte ihren Weg fort. Diesmal ging sie aber nicht über die Straße, sondern hielt sich auf den Wiesen, denn hier war der Boden etwas weicher. Ein paar Kühe, die neben ihr
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