Die Köchin und der Kardinal
unsere eigene und einzige Ziege. Ohne die hätten wir bis jetzt nicht überlebt.«
Der Vater holte zwei weitere Melkschemel aus dem Stall und bat Agnes und Jakob, Platz zu nehmen. Die Mutter nahm eine Kanne und fünf Becher, in die sie Ziegenmilch schenkte.
»Jetzt erzählt, wie es damals bei euch weitergegangen ist, nachdem die Kaiserlichen in Calw eingefallen waren«, drängte Agnes.
Der Vater räusperte sich. »Als die Stadt überfallen wurde, wart ihr ja mit Mutter und Lukas oben auf dem Dachboden. Ich selbst war noch einmal hinuntergegangen, um nach den Sachen im Verschlag zu sehen. Dann hörte ich die Soldaten kommen und betete zu Gott dem Allmächtigen, dass sie uns alle verschonen möchten. Vielleicht hat Gott mein Gebet erhört, denn nach einer Weile kamen die Soldaten zurück und trieben Mutter und Lukas vor sich her. Ich trat aus dem Verschlag und gab mich zu erkennen.«
»Ich hatte solche Angst!«, sagte Agnes’ Mutter gepresst.
»Und ich erst!«, fügte Lukas hinzu.
»Sie schrien mich an, wo unser Geld und unser Schmuck sei. Ich holte alles aus dem Verschlag, was ich dort verborgen hatte.«
»Dann wurden wir vor ihnen her durch die Stadt getrieben«, berichtete die Mutter weiter. »Es war so furchtbar, dass ich heute noch davon träume.«
»Ihr müsst es ebenfalls gesehen haben«, sagte der Vater. »Die Feuer, die gelegt wurden, das Morden und Schlachten, ihr müsst die Schreie gehört haben, das Fluchen und das Gelächter der Soldaten.«
»Ja, das haben wir gehört«, sagte Agnes. »Jakob hier«, sie wies auf ihn, »hat uns vor dem sicheren Tod gerettet.«
»Ich wies meine Männer an, die Mädchen zu schonen«, sagteJakob. »Leider gelang mir das nicht, was die Bevölkerung betraf.«
»Wohin wurdet ihr verbracht?«, fragte Agnes weiter.
»Wir mussten die ganze Nacht in einem Schweinestall verbringen, aus dem wir nicht entfliehen konnten. Und die ganze Zeit hörten wir die Flammen zischen und heulen, hörten, wie Gebäude zusammenstürzten.«
»Und die Kerle grölten und schrien, als seien sie auf einem Jahrmarkt«, setzte die Mutter hinzu.
»Johann von Werth hatte die Stadtväter aufgefordert, gegen sechstausend Gulden auf eine Brandschatzung zu verzichten, wozu die Stadt nicht in der Lage war«, warf Jakob ein. »Zunächst gab sich der Oberst mit einer Teilzahlung zufrieden, dann ließ er das Feuer legen.«
»Am nächsten Tag wurden wir grob geweckt und mussten mit ihnen weiterziehen«, fuhr der Vater fort. »Es ging durch den Schwarzwald bis an den Rhein, später nach Frankreich.«
»Habt ihr nicht versucht zu fliehen?«, wollte Agnes wissen.
»Wohin hätten wir fliehen sollen, ohne jede Mittel?«, antwortete der Vater. »Und so sind wir schließlich hier in Breisach gelandet.«
»Warum sind wir uns nie begegnet, wenn Ihr die ganze Zeit im Tross des Johann von Werth dabei wart?«, fragte Jakob.
»Wir kannten uns ja gar nicht«, meinte der Vater.
»Wir haben für die Soldaten arbeiten müssen«, erzählte die Mutter. »Wäsche waschen, kochen, Kleidung ausbessern …«
»Und Beute machen«, ergänzte der Vater. »Wobei ich die Sachen bei den Bauern eher erbettelt habe, als sie mit Gewalt zu nehmen wie die Soldaten.«
»Ein furchtbarer Kerl, dieser Oberst van Werth!«, rief die Mutter aus.
»Ich kenne einen, der noch viel furchtbarer ist«, warf Jakob ein.
»Der Feldzeugmeister von Reinach?«, meinte der Vater.
»Der prasst, dass sich die Balken biegen, derweil hier unten die Leute verhungern.«
»Aber er ist nett zu mir gewesen, hat mir Kleider und Schmuck geschenkt«, versuchte Agnes den Kommandanten zu verteidigen.
»Er ist ein Wüstling«, beschied ihr Vater. »Was hast du denn mit dem gehabt, dass er dich so beschenkt?«
Agnes wand sich, dann stieß sie hervor: »Der konnte mich einfach nur gut leiden, glaube ich. Nachdem Elisabeth ja gegangen war.«
»Der Kardinal hat sie ausgelöst«, erklärte Jakob.
»Und warum nicht dich, Agnes?«, fragte die Mutter.
»Ich wollte nicht nach Freiburg, weil der Kardinal mir immer nachgestellt hat«, sagte sie mit einem Augenaufschlag.
Du elende Lügnerin!, dachte Jakob, sagte aber nichts.
»Na, dann hoffen wir mal, dass Elisabeth ihre Tugendhaftigkeit ihm gegenüber bewahrt«, meinte die Mutter. Irgendwie waren diese Menschen bigott. Anstatt sich uneingeschränkt zu freuen, dass ihre Kinder noch am Leben waren, machten sie sich Sorgen über deren Tugend.
»Für Elisabeths Tugend kann ich mich verbürgen«, sagte Jakob, ohne mit
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