Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
setzten sie den Gefährten nach, die auf dem Absatz kehrtmachten und in die entgegengesetzte Richtung liefen, zurück zum Hauptstollen.
Im Laufen schickte Gladwyn ihnen einige Pfeile entgegen, die flirrend davonzuckten. Zwei davon fanden ihr Ziel, was die Zwerge auf Distanz hielt, ihren Zorn jedoch nur noch mehr anstachelte. Wenn die Gefährten ihnen in die Hände fielen, hatten sie keine Gnade zu erwarten.
Im Hauptgang bogen sie nach rechts ab – links mochten ihre anderen Verfolger lauern. Im Laufschritt ging es den Stollen hinab, doch die Zwerge blieben ihnen unerbittlich auf den Fersen, folgten ihnen durch eine weitere Reihe von Abzweigungen und sich windenden Tunneln. Die Gefährten rannten, bis ihre Beine schmerzten und ihre Lungen brannten und sie kaum noch weitergehen konnten. Obwohl sie die heiseren Stimmen ihrer Verfolger hinter sich hörten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als für einen Moment zu verharren.
»Ich habe keine Pfeile mehr!«, meldete Gladwyn verzweifelt. »Ich kann sie nicht länger aufhalten.«
»Dann werde ich zurückbleiben und mich um sie kümmern«, schlug Ferghas vor. »Geht ohne mich weiter!«
»Nein!«, widersprach Dag. »Wir gehen alle oder keiner!«
»Sei kein Narr, Junge!«
»Ich will nicht noch jemanden verlieren!«, erklärte Dag trotzig, der sich vor Schmerz und Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte.
»Diese Entscheidung liegt nicht bei dir!« Nicht Ferghas hatte das gesagt, sondern der Herzog selbst, und seine Stimme war dabei von seltener Klarheit.
»Vater?«
»Ich weiß, dass du alles getan hast, was möglich war«, sagte Osbert, und vor seinem geistigen Auge sah Dag ihn in diesem Moment nicht als um Jahre gealterten, dem Wahnsinn verfallenen Greis, sondern so, wie er ihn in Erinnerung hatte: erhaben und stolz, ein Ausbund an Entschlossenheit. »Geht weiter und lasst mich zurück.«
»Nein, Vater, wir …«
»Das ist ein Befehl, Junge«, beharrte der Herzog, in dessen Stimme plötzlich wieder jene unversöhnliche Härte mitschwang, die Dag einst so gefürchtet hatte. Doch zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass es dem Herzog dabei nicht um sich selbst ging, um seine Ehre, seinen Ruhm oder sein Nachleben.
Sondern um ihn.
Seinen Sohn.
»Wir brauchen dich, Vater«, beharrte Dag dennoch. »Ansun braucht dich, und die Hügelclans ebenfalls. Unter deiner Führung wollen sie sich vereinen und gegen die Zwerge kämpfen!«
»Sieh mich an, Sohn«, erwiderte der Herzog in erschreckender Nüchternheit. »In mir ist nichts übrig, das führen könnte. Auf dir … ruht die Hoffnung, Sohn. Mein legitimer Sohn, mein Erbe. Du bist die Zukunft!«
Dag wusste nicht, was er erwidern sollte. Gerne hätte er geglaubt, dass sein Vater bei Sinnen war, denn es waren Worte wie diese, nach denen er in all den Jahren gedürstet und die er doch nie vernommen hatte. »Aber ich bin nicht wie du, Vater …«, wollte er einwenden – doch Osbert ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ich will, dass du lebst. Gehe nach Ansun zurück und hilf unseren Leuten. Führe sie in die Freiheit! Ich weiß, dass du das kannst!«
Dag gingen hundert Gedanken durch den Kopf.
Aber er schwieg.
»Ich hätte dir das früher sagen sollen, Sohn«, hauchte der Herzog, während die Schreie ihrer Verfolger immer lauter wurden. Jeden Augenblick würden sie hier sein. »Ich habe dich stets bewundert … für deine Visionen … und für deinen Idealismus. Ich bin nur ein Krieger, etwas anderes … kann ich nicht. Lass mich deshalb tun, was ich am besten kann.«
Ein metallisches Geräusch erklang, als ein Schwert aus einer Scheide gerissen wurde. »Herr, nicht!«, rief Henquist überrascht – Osberts Antwort war lautes, sich überschlagendes Gelächter, das den Wahnsinn wieder durchblicken ließ.
»Flieht!«, rief er ihnen mit lauter Stimme zu, dass es von den Felswänden widerhallte. »Und bleibt am Leben!«
»Vater!«, brüllte Dag, während sich die schleppenden Schritte des Herzogs bereits entfernten, dem Gebrüll der Verfolger entgegen.
»Vater!«, schrie er noch einmal, während ihn jemand packte und mitriss, und er stolperte und strauchelte davon, während er hören konnte, wie sich sein Vater den Zwergen entgegenwarf, gerüstet mit nichts als Lumpen und bewaffnet nur mit Henquists Schwert und dem Mut der Verzweiflung.
Metall traf mit hellem Klang auf Metall, und gellende Todesschreie waren zu hören, die sich in der Tiefe des Stollens verloren. Dag wollte nicht weiter, aber ihm war
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