Die Koenigin der Schattenstadt
verstummen ließ. Es war vorbei, bevor Sarita bemerkt hatte, was gerade geschehen war. Das Äffchen lag tot im Sand und der Skorpion entfernte sich schnell vom Ort des Geschehens.
Tränen stürzten der Kleinen aus den Augen, als sie das tote Äffchen in die Arme nahm. »Ja, weine nur um ihn«, sagte Nuria, »aber bedenke, dass du an seinem Tod die Schuld trägst. Und bedenke, dass du selbst es bist, wegen der du Tränen vergießt.«
Sarita hob den Blick und sagte nur: »Ich hasse dich.« Sonst nichts. Nur diese drei Worte. Dann ging sie mit dem Äffchen zum Pinienbaum.
Catalina starrte auf ihre Hand.
Die gezeichneten Finger malten weiter und Catalina konnte den Blick nicht abwenden.
Sie sah . . .
Sarita Soleado.
Sarita, wie man sie in ihr Zimmer eingesperrt hatte, aus dem alles Papier und jeder Stift entfernt worden war. Mit den Fäusten hämmerte sie gegen die Tür, doch niemand öffnete ihr. Sie durfte nicht mehr hinaus, seit Tagen schon nicht. »Es ist einfach zu gefährlich«, hatte Nuria gesagt. Sie hatte geseufzt. Aber gehört hatte sie nicht auf die flehenden Bitten ihrer Tochter.
Sarita weinte viel und sie war unglücklich. Sie kannte ihren Vater nicht, immer war da nur Nuria gewesen. Doch ihre Mutter liebte sie nicht, dessen war sich das Mädchen sicher. Niemand, der einen Menschen aufrichtig liebt, ging so mit ihm um.
Catalina hatte das Gefühl, von einem Bild ins nächste gezogen zu werden.
Es war, als habe Sarita all dies so schnell gezeichnet, dass die Bilder selbst ganz rastlos waren. Manche von ihnen sahen verzerrt aus, als habe die Hand der Zeichnerin gezittert, als sie den Stift geführt hatte. Bei anderen zerliefen die Farben, als hätten Tränen die Zeichnung benetzt.
Catalina hörte Stimmen.
Laute Stimmen.
Ständig stritten sie. Nichts konnte sie Nuria recht machen. Alles, was Sarita tat, war falsch. Sie hatte das kleine Äffchen unter einem Pinienbaum vergraben und die Stelle, an der es in der Erde ruhte, mit einem dichten Teppich aus Nadeln bedeckt. Dann hatte sie Steine aufeinandergetürmt.
Das Äffchen hatte nie einen Namen gehabt. Nur Äffchen hatte sie es gerufen. Und das Äffchen hatte darauf gehört.
Es war frei gewesen, ungebunden. Sarita hatte nicht vorgehabt, es zu zähmen. Man durfte Tiere nicht zähmen. Denn das war genau das, was ihre Mutter mit ihrer Tochter machte. Nuria sprach sogar öfter mit ihren Raben, die auf den Feldern saßen, als mit ihr und . . .
Tusche zerfloss zu Regengüssen.
Sand wehte wie Farbe durch die Bilder.
Die Jahre vergingen, wie Tinte von Papier aufgesogen wird.
Bild für Bild.
Catalina war ganz schwindlig. Doch sie musste den Bildern folgen, durfte sie nicht unterbrechen.
Sie sah, was Sarita erlebt hatte, damals vor langer, langer Zeit.
Sie war kein Mädchen mehr und noch weit davon entfernt eine Frau zu sein, als sie von zu Hause fortlief. Sie verschwand mitten in der Nacht. Sie vermied es, dorthin zu gehen, wo Nuria sie suchen würde. Sie ging nicht zum Hafen, nicht in die nächste Stadt und sie wanderte auch nicht auf den Pfaden, die von den Eselstreibern und Dampfdroschken genommen wurden. Nein, sie war geschickt. Sie schlief am Tage und wanderte in der Nacht. Die Dunkelheit wurde zu ihrem Verbündeten, langsam, stetig. Denn die Raben, das wusste Sarita, würden nach ihr Ausschau halten. Und wenn sie Nuria erst verraten würden, wo man sie fände, dann wäre es um sie geschehen. Dann würde sie zurückkommen müssen.
Cala de Soleado, so hieß der kleine Ort, in dem sie aufgewachsen war. Sie liebte ihn, wie sie Nuria Niebla hasste. Und wenn man sie später nach ihrem Namen fragte, dann behauptete sie, dieser sei Sarita Soleado. Es war der Name der Bucht, an dem sie das Äffchen namens Äffchen vergraben hatte. Es war der Ort, an dem alles begonnen hatte. An dem sie erfahren hatte, was sie tun konnte, und an dem man ihr verboten hatte zu tun, wonach sie sich sehnte.
Und Sarita wusste jetzt, dass sie niemals glücklich sein würde. Sie wusste, dass sie eine Kartenmacherin war. Nuria hatte ihr auch gesagt, dass jene, die waren wie sie beide, nicht heiraten dürften. Es würde keinen Mann in ihrem Leben geben, niemals. Nicht, wenn es nach Nuria Niebla ginge.
»Wir töten, was wir lieben.« Das war es, was ihre Mutter ihr offenbart hatte. »Wenn wir zeichnen und die Magie durch unsere Finger fließt und die Tintenstriche zur neuen Wirklichkeit werden, dann muss jemand einen fürchterlichen Preis zahlen. Jemand, den wir lieben. Genau
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