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Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Titel: Die Königin ist tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Flor
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alten Rolle) amüsierte, während dessen Frau fachkundig die Einrichtung begutachtete. Dabei war das junge Mädchen mit dem Pferdeschwanz, das Melissa hieß, allen Tischordnungsgesetzen zufolge Alexander zugedacht, offiziell. Duncan, der sie in einem seiner weniger wichtigen Sender entdeckt hatte, hatte sie als vielversprechend beschrieben und stellte ihr eine zentralere Rolle in Aussicht. Vor dem Essen war er ganz beschäftigt damit gewesen, ihr die Schwerpunkte des in Frage kommenden Aufgabenbereichs zu erklären, begeisterte sich dann für ihre jüngste Reportage über das umweltpolitische Engagement einer Ölfirma, während ich Stuarts Fähigkeit (seine Frau still neben ihm) bewundert hatte, sich wortreich jeder Festlegung zu entziehen und mir dabei doch immer das Gefühl zu geben, dass er mir zustimmte. Was er nicht tat, das war mir bewusst, und doch konnte ich den Punkt nicht ausmachen, an dem dieses Wissen festzumachen gewesen wäre, und ich ärgerte mich zunehmend, auch wenn seine Freundlichkeit mich warm umfing und nur gelegentlich eine versichernde Geste zu seiner Frau hinüber einschloss; auch das, denke ich nun, amüsierte Alexander, und das entfachte meine Wut gleich doppelt, und ich dachte, dass ich jetzt, sofort, an diesem Abend noch jemanden brechen wollte, und dass ich die Dinge in die Hand nehmen würde. Genug getrieben wie ein Bündel zusammengeschnallter Baumstämme, die flussabwärts transportiert werden sollen.
    Schon während der Vorspeise wurde deutlich, dass Stuart tatsächlich über einen ordentlichen Satz Goldzähne verfügte: ein Fehler. Ansonsten bleiben wir unter uns und ziehen unsere Grenzen feinsinnig, denn die Kenntnis der Grenzziehungsformeln ist es schließlich, die uns auszeichnet. Auch wenn Europa den Bach runtergegangen ist, Grenzziehungsformeln sind leicht zu adaptieren. Und um mich ein bisschen abzulenken, begutachtete ich Alexander, während ich nun meinerseits Stuart mit allen Anzeichen der Verbindlichkeit zustimmte, und das wirkte überraschend schnell. Stuart begann auf seinem Sitz zu wetzen wie ein Schüler, und seine Frau schien leicht beunruhigt durch sein Verhalten, sie schielte seitwärts, genau wie ich, während Duncan noch schräg über den Tisch hinweg das sitzordnungsmäßig eingeparkte blonde Mädchen in Beschlag nehmen hatte können und glatt zum Lachen brachte, wobei er sicherlich davon ausging, dass sie ihn tatsächlich für geistreich hielt, sie blinzelte mit Heiterkeitstränen in den Augenwinkeln und schlang ihren Zopf dabei um das linke Handgelenk, als wollte sie sich selbst im Zaum halten: was für ein Bild.
    Alexander sah mich zum ersten Mal ganz eindeutig an, ohne dass irgendetwas in diesem Blick Raum für Sicherheiten gelassen hätte, trotz des Brillenrahmens. Wir sind alle käuflich, sage ich ja. Ich begann mich zu fragen, ob Sicherheit etwas wäre, das ein erstrebenswertes Ziel für mich darstellte, und musste zugeben, dass ich sie wohl irgendwann einmal angestrebt haben dürfte; allerdings konnte ich mich nicht mehr an das dazugehörige Bedürfnis erinnern. Sicher ist höchstens der Stillstand, sagte ich also verschwörerisch und kaum hörbar zu Alexander, und der lächelte; ob er verstanden hatte, was ich sagte, oder höflichkeitshalber so tat als ob, konnte ich nicht sagen, es war mir auch vollkommen gleichgültig.
    Und dabei dachte ich, dass ich durchhalten müsste, bis die Kinder so weit fertig wären. (Übrigens ist das mit dem Stillstand nicht durchdacht. Sicher ist nur der finale Stillstand, jeder Stillstand davor kommt in einem ständig sich weiterbewegenden Bezugssystem auch einem Rückschritt gleich.)
    Was meine eigenen Gefühle betrifft, habe ich manchmal den Eindruck, als seien sie von mir abgetrennt und sicher unter Glas verwahrt, in kleinen musealen Glasbehältern wie interessante Tierpräparate, die ich hervorholen und bewundern kann auf ihren gedrechselten Bodenplatten: Es gibt da ein paar hübsche Gefühlsminiaturen, die Duncan betreffen, immer noch, seiner Fürsorglichkeit beispielsweise habe ich ein kleines Denkmal gesetzt und seiner durchaus professionellen Wertschätzung meiner Fortpflanzungsleistung.
    Dass der Tod schließlich nichts Unnatürliches sei, hatte Duncan zu dem Mädchen gesagt und war sich mit gekrümmten Fingern, heugabelgleich durch die diesmal kürzer geschnittenen Haare gefahren, was sie abstehen ließ. Auch wenn man immer so täte, als ob der Tod nicht vorgesehen sei im System. Und er verstünde nicht, wie man

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