Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
auf die Idee kommen könne, sich einfrieren zu lassen. Ganz abgesehen davon, dass man das ja gewissermaßen noch zu Lebzeiten machen müsse, wenn es sinnvoll sein solle, denn mit dem Eintritt des Todes beginne der molekulare Zersetzungsprozess. Nein, sagte er, abgesehen von solchen technischen Details, die sich lösen ließen, verstünde er nicht, wie irgend jemand annehmen könne, die Menschen in hundert, zweihundert Jahren könnten ein Interesse daran haben, diese meist nicht in der Blüte ihrer Jahre, sondern lange danach konservierten Körper aus der Gefrierkammer zu holen und wiederzubeleben. Natürlich sei damit Geld zu machen, und am Geldmachen sei er, Duncan, naturgemäß immer interessiert. Allerdings lohne der Sektor noch nicht wirklich, auch wenn es stimme, dass sich das meiste Geld mit unerfüllbaren Sehnsüchten machen ließe. Das Mädchen hatte leicht gequält gelächelt.
Doch nun am vorgerückten Abend umfing Stuart die Zopfträgerin mit eben derselben Freundlichkeit, die er zuvor an mir versucht hatte, und Duncan war verstimmt, wie man, wenn man ihn kannte, aus der ausgesuchten Aufmerksamkeit schließen konnte, mit der er uns allen aus einer Karaffe mit dunkelgoldener hochprozentiger Winterflüssigkeit nachschenkte, solange, bis sich Stuarts Frau (Mabel) schließlich auf ein Gespräch über Einbalsamierung einließ. Dabei schwenkte Duncan sein Glas, an dessen Wänden die Flüssigkeitsschlieren jede seiner Bewegungen honiggelb nachleuchten ließen, das Zerfallen des Körpers in der Erde, sagte er, stelle er sich gerne vor. Die Idee der Rückführung seiner Überreste in die Verwertungskette des Lebens gefalle ihm. Fürsorglichkeit kann was Hinterhältiges haben, das habe ich schnell verstanden. Alexander quittierte die Szene mit einem feinen Mundwinkelkräuseln in meine Richtung. Ich sah ihm in die Augen, nur kurz, und kein Gedanke an Kuhglockenläuten durchströmte mich: Ich dachte an Dünen, an die Nacht und die Dünen. Kälte kam in dem Bild nicht vor.
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Statt dessen die Vorstellung von Vollständigkeit, die ich gleich bis zum Hals in Sand begrub. Duncan hatte in Vorbereitung dieses Abends Vögel und auch ein paar Stück Wild selbst geschossen, Elche, Hirsche, gibt’s hier nicht, nicht hier, anderes Revier. Kann man gar nicht alles wegessen. Der Jägermeister weidet aus (manche Leute bleiben einem einfach nicht erspart), während ich daneben stehe und mir von Duncan die Handgriffe erklären lasse und die Geräusche, die sie verursachen. Sand auf Schleimhäuten erhöht die Reibung in kontraproduktiver Weise, denke ich jetzt, in diesem Raum mit integriertem Pool (offener Nasszelle) und Blick über die Seeoberfläche, an ihr entlang, um genau zu sein, parallel zu ihr, von der Badewanne aus gesehen. Und weit und breit keine Dünen. Beim Ausweiden kann ich das noch gar nicht gedacht haben, denn die Verbindung von Sand und Schleimhäuten stellte ich erst nach dem geschäftsfördernden Essen her, und dieses Essen muss logischerweise, dem Prinzip von Ursache und Wirkung zufolge, nach der Jagd stattgefunden haben. Im übrigen lässt man das Fleisch gerne ein bisschen abhängen.
Schon wieder ein Versuch zwischen uns beiden. Die jagdtechnischen Ausführungen haben einen Hintersinn, Duncan beobachtet mich und ist enttäuscht, dass ich keine Regung zeige angesichts der bloßliegenden dampfenden Eingeweide. Ich stelle mir vor, wie der Jägermeister vorsichtig ein Ei in die Darmschlingen bettet. Zum Ausbrüten, könnte er sagen, zum Ausbrüten, ich starre den Jägermeister, der übrigens Archibald heißt, an, das kann ich gut, und es verfehlt selten seine Wirkung. Und dabei denke ich, dass es mindestens einen Ort in mir gibt, der nicht mehr zugänglich ist. Ich könnte ihn bestimmt lokalisieren, wenn ich wollte. Im übrigen sorgt er schon dafür, dass ich ihn nicht vergesse. Die Interpretation, sagt Duncan, dürfe man sich nicht abnehmen lassen.
Die Versuche mag ich. Ich bin Duncan dankbar dafür. Es zeigt mir immerhin, dass wir etwas miteinander zu tun haben. Manchmal frage ich ihn, was es eigentlich ist, das wir miteinander zu tun haben.
Die Kinder, ich weiß nicht, die sind mir irgendwann abhanden gekommen. An dem Tag wahrscheinlich, als ich in der Zeitung las, dass bei einem führenden Mitarbeiter (Programmverantwortlichen) in einer von Duncans Firmen, einem Trumpfblatt in seinem Firmenportfolio, um genau zu sein, kinderpornografisches Material gefunden worden sei. Und gleich darauf ein Firmensprecher
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