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Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Titel: Die Königin ist tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Flor
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das Auge sieht bis zum Horizont: zur Wandunterkante, davor die vertrocknete Spinnenhülle. Die Körperflüssigkeiten scheinen sich nach innen zurückgezogen zu haben unter Hinterlassung eines eingefallenen Rumpfes und verkrümmter Beine. Die Drecksarbeit selber zu machen hat auch was für sich.

20
    Als wir uns zum Essen setzen, finde ich tatsächlich wieder das Einladende in seinem rauen Kindergesicht, wie das von mir und von ihm wohl nicht anders erwartet wird. Eine gefällige Geschmeidigkeit, die Abgründe verspricht, nur die Brille verleiht dem Ausdruck ein wenig Strenge, Ernsthaftigkeit möglicherweise, ein in Hinblick auf diesen Effekt, vermute ich, gewähltes Modell, dunkel, eckig; noch hat Alexander das offen verletzlich Junge, das von sich aus anziehend ist, ohne Anstrengung, ohne Bewusstsein. Sein Lachen kommt mir schon bekannt vor, denn er lacht und macht Scherze. Was er sagt, entzieht sich meiner Kenntnis, es kommt gar nicht an, der Inhalt erreicht mich nur theoretisch, hypothetisch, eine Gesprächshypothese, der ich nicht nachgehe, ich bin vollauf damit beschäftigt, seine Lippen zu beobachten, während er das Gespräch ausdehnen möchte selbst um den Preis, dass wir in heikle Fahrwasser geraten (Ehrgeiz; na bitte, ich habe ja doch zugehört).
    Und da fällt mir zum ersten Mal auf, dass er mich tatsächlich umwirbt, das lässt mich ein bisschen leuchten, und die selbstverständliche Überlegenheit, von der er wohl dachte, sie gehöre ihm, verflüchtigt sich in einem Tempo, das mich beeindruckt. Die Gründe: die Ausbildung. Die Vernunft. Wenn wir zwei uns nun einmal so ganz allein überlassen sind, machen wir besser was draus, bevor die Dinge sich womöglich zu früh und in der falschen Weise von selbst festlegen. Ich bin nicht schlecht darin, das Beste aus gegebenen Ausgangskonfigurationen zu machen.
    Meine Fähigkeiten: ich vergesse zum Beispiel die Vorgeschichte. Ist nicht deine Schuld, sage ich, bevor ich ihn küsse, und er hält meinen Kopf fest, umfasst das Kinn, er will die Oberhand gewinnen, das macht er ziemlich gut. Dass dein Charakter genauso fragwürdig ist wie meiner (unsere Motivationen verstehen sich immer besser, sie kommen sich richtig nahe, sie gehen bald Hand in Hand), stört mich gerade nicht, nicht im Geringsten, das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, ich zögere also die Sache noch ein wenig hinaus, ziehe mich zurück auf meine Seite des Tisches. Ich spiele mit dem Besteck herum und sage, dass ich nicht verstünde, warum Duncan das Potential nicht gesehen habe, das hier aufeinander trifft, Alexander schließt die Augen. Dass er es nicht für gefährlich halte, uns beide zusammenzubringen, aufeinander loszulassen, mich mit meinem Wissen, der Kenntnis von Duncans Charakter und Duncans Strategien und Alexander mit seiner Skrupellosigkeit, Alexander lacht, und in die Stimme schleicht sich ein hoher Unterton. Ein Oberton, genau genommen, der anziehend darüber schwebt und mir den Mund austrocknet. Wie kommst du denn darauf, sagt er.
    Schließlich – schon auf der Couch, ein Glas noch zum Festhalten, die Couch/Glas-Kombination will mir kurz aufstoßen, doch ich lasse sie nicht – zieht Alexander die Schuhe aus und legt die mit tadellos lochfreien Socken bekleideten Füße hoch, was aber nun eine so kindische Positionsbehauptung ist, dass ich ihn auf seinen Platz verweisen muss, dass ich aufstehen und etwas tun muss, das die in Schieflage geratene Gewichtsverteilung ein wenig ausgleicht. Seine Wangen sind rührend, und in diesem Moment will ich gar nicht wissen, warum er dem Handel zugestimmt hat. Ich streiche ihm mit der Rückseite meines Fingergliedes über die schon nachwachsenden Bartstoppeln, der Schauer durchfährt Zeigefinger und Handteller, wo er ein wenig kitzelnd kreist, bevor er die Innenseite des Arms entlang und seinem Ziel tief in mir entgegen läuft: der zentralen Empfangseinheit meines vegetativen Nervensystems. Da eröffnen sich Möglichkeiten. Natürlich versteckt er sich, wer täte das nicht, versteckt sich zum Beispiel hinter der geübten Entschiedenheit, mit der er die Zunge einsetzt, das Fremde in meiner Mundhöhle. Öffnet den Mund und versteckt sich hinter der Zungenfertigkeit, und die ist beachtlich. Er gibt und er nimmt: ein hübsches Gesicht, den guten Glauben.
    Und später sehe ich ihn über mir, dunkel über mir und leer ganz ohne Brille, die liegt kieloben am Bettrand, während seine Hände meine auf dem Leintuch fixieren. (Männerhände, unter deren

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