Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
gemächlich fülle), ich sollte glücklich sein, wenn auch der kleine Stachel der Degradierung in mir steckt, aber das auslaufende Gift macht vieles wett. Und bald, bald werde ich die Kinder nachholen, die Kinder, von denen ich andererseits weiß, dass sie gut versorgt sind, und deren Anwesenheit, das sehe ich ein, Alexander irgendwie irritieren könnte. Ich sehe ein, dass die Kinder eines anderen seine Karrierepläne stören würden, oder vielmehr meine Konzentration auf Alexanders Karrierepläne. Seine Karriere ist auch die meine. Wie hat es soweit kommen können? Ich glaube, ich habe das detailliert kalkuliert. Durchschnittseinkommen und Ausbildungssituation angesichts der neuen Verhältnisse mit dem Potential verglichen, das Duncan mir bot. So wird es wohl gewesen sein. Und ja: Beseitigung ist eine Option.
Nein, was sage ich. Ich sollte am Rad sitzen in der Wohnung oder im Fitnessbereich im 2. Stock, damit ich unter die passenden Leute komme, das sollte ich, oder von mir aus im turmeigenen Privatpark am Garagendach meine Kreise ziehen, nicht am Strand spazieren gehen, das tut man nicht in meiner Lage. Als ob ich gänzlich unbelehrbar wäre. Und der Strand ist es auch: völlig unberührt von den Vorgängen ein paar Blocks weiter, aber die sind sowieso unter Kontrolle, denke ich.
Dabei lerne ich. Es dauert zwar, bis ich das mit den Kindern einsehen kann, und dabei fallen mir meine präraffaelitisch gewellten rotblonden Locken feucht von beiden Seiten des Scheitels (ein schwüler Tag), und ich weiß, dass ich zum Anbeißen aussehe. Der Haarschnitt ist fällig. Zum Sichverzehren. Ich habe rechtzeitig vorgesorgt. Zum Verzehr geeignet, denke ich und lächle einem dicken Jungen zu, der offensichtlich versucht, seine Körperausmaße durch Lauftraining zu reduzieren. Sein Schrittrhythmus gerät ins Stocken, die weite Hose schlackert um die Knie. Er passiert drei Kinder, es gibt also doch noch welche, und die beziehen meinen Blick auf sich, sie rufen mir etwas zu, und ich lächle zurück. Gerne denke ich an Alexanders Stimme gestern Nacht, schon Morgen bei ihm, ein wenig ausgedünnt klingt er zwar durch das Telefon, doch unverkennbar, und wieder dieser leise überraschte Oberton, der mir direkt durch die Innereien fährt, und wie ich nur so durch den Nebel höre, was er eigentlich erzählt, zu sehr bin ich mit dem Erfassen seiner Stimmdetails beschäftigt, deren Zusammenklang mich betört, wie es scheint. Er spricht von sich und der Armeezeit und dem, was sie Frischlingen so antun. Ich hinke weiter hinterher, wie gesagt, er legt eine Kunstpause ein, um mir Zeit zu geben, schockiert zu sein. Dann lacht er: Das schweißt zusammen.
Ich spüre, dass ich wieder einen Willen habe. Ja, ich will, kann ich sagen und unbeirrt nach vorne blicken, zum Yachthafen. Kein interessantes Objekt in Sicht. (Nur nicht zu schnell die Suchscheinwerfer ausschalten, den Blick einschränken, flüstert es böse in mir, erinnere dich, was beim letzten Mal passiert ist. Auf schnellen Sohlen will sich schon wieder der Zweifel einschleichen, nicht bei mir.) Ich höre die Kinder rufen.
Ich habe Alexander nach seiner Haltung zu den Kindern gefragt, am ersten Morgen, und ihn gezwungen, mir in die Augen zu sehen. Er lächelt und fragt mich doch glatt, wie ich die Aussicht fände, als würde sie ihm gehören. Die Frage kenne ich, ich finde es zu anstrengend herauszustreichen, dass das hier meine Wohnung ist, meine Aussicht; so bleibt mir eben ein halbherziges müdes Lächeln. Ich habe hier schon die Aussicht abgegrast, da war von Alexander noch gar keine Rede. Das Themenwechseln liegt ihm, er sieht aus dem Fenster auf sein kleines privates Meer unter dem kleinen Glasabhang, ein kleiner König, ein Stellvertreter, während ich versuche, mich an seine Zunge in meinem Mundraum zu erinnern, seinen Geruch, seine Hände und seinen Rhythmus in mir, der nur sich selbst genügt hat und doch teilbar war. Unsere Bewegungen, könnte man sagen, haben sich aufgeschaukelt zu annähernder Zufriedenheit, und das ist ja an sich schon erstaunlich bei einem ersten Mal, das ja immer unbeholfen ist, ein provisorischer Brückenschlag; ich wiederhole mich.
Und während ich diesen abseitigen Gedankengängen folge, überholt mich das Kleinste der Kinder, baut sich vor mir auf und streckt mir eine Hand entgegen, die Nägel sandverkrustet, ich übe mich in dem indifferenten Vorbeisehen, das überlebenswichtig ist, das lernt man schnell, und gehe weiter, doch zu spät. Nun kommen
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