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Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Titel: Die Königin ist tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Flor
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Unstaat, nur bei den Ordnungskräften hört der Spaß sich auf.
    Spritze: natürlich nichts für mich. Ich bin weiß und schön. Und nachweisen kann man mir auch nichts außer ungeschütztem Sex mit meinem Ehemann. So lange ich kein Leck habe, was dringt da schon nach draußen? So erzähle ich seinem hoch aufragenden Schulterumriss von der Straße – und die plötzliche Erkenntnis der Ähnlichkeit der Bilder erschüttert mich bis ins Mark, Rücken um Rücken, Schulter auf Schulter, nur dass diejenige vor mir muskelgerundet ist, nicht knochig wie die andere, die ich gewohnt war, verdichtet sich zu einem Adrenalintornado, der alles niederwalzt. Sodass der Gedanke an die Spitze des vergessenen Kugelschreibers, mit der Alexander meinen Hals gezeichnet hat, jetzt beinahe beiläufig neben dem Strudel an die Oberfläche steigt, unmittelbar gefolgt von der Frage, ob es sich bei dem Objekt um eine geschickt getarnte Kamera gehandelt haben könnte und wo das verfluchte Ding jetzt ist, ob Alexander es einfach eingesteckt hat in die Sakkotasche, wie gewisse Anzugträger das gewohnheitsmäßig tun.
    Ich erzähle Alexander von Stuarts Bild, tonlos, während ich die Reflexion der Wellen an der Decke ansehe, immer gleich, ein ewig junges Geschwappe, das mich hochfahren lässt: sein Schlaf ist gut.
    Von dem seltsamen Gefühl, wieder hinauszugehen, erzähle ich ihm, ins Freie zu gehen, allein, zu Fuß, ich suche im Hochhausgestrüpp nach Kindern. Die Kinder sind aber gut aufgehoben, ich weiß, dass ich ihnen nicht begegnen werde. Keine der Gestalten im Dunstkreis der aus den U-Bahn-Lüftungsschächten aufsteigenden Dampfschwaden gehört zu mir. Sie beachten mich auch nicht: hier könnte ich die richtige Technik des Schlagadernschnitts vermutlich lernen (nicht durch den Kehlkopf, nehme ich an, drunter, drüber? ich muss fragen). Ich denke an Grillkohlenrauch. Auf der Suche nach den Kindern stoße ich auf Stuarts Bild, mit dem die Kinder ihre Scherze getrieben haben: Mörder steht darauf, Murderer natürlich, ich frage mich kurz, woher diese Enddoppelung im Englischen kommt. Dabei ist er gar nicht der Mörder, Stuart doch nicht, und ich will es ihnen sagen, es empört mich, dass sie Stuart unrecht tun. Ich habe auf einmal das unreif pubertäre Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Aber sie meinen nicht Duncans Tod, sie meinen die Niederschlagung der Aufstände, bei denen es Tote gab, so zwanzig, dreißig Tote, genau weiß ich das nicht mehr, ein paar auch auf Seiten der Einsatzkräfte, Tote, die bitter gerächt werden, der Prozessausgang steht bereits fest, bevor die Angeklagten aus denjenigen ausgewählt worden sind, die man dingfest machen konnte.
    Hinter meinen Lidern ruhen keine Pupillen, ich müsste langsam lernen, diese Leere zu benennen. Wenn der Boden wegbricht, weil das Geschehene auf einmal in eisiger Nachtklarheit vor uns liegt, scharf umrissen und unüberwindlich, dann hilft nur noch der Rückzug nach innen. Wenn unübersehbar ist, was man getan hat. Was wir getan haben, leibhaftig. Der fleischgewordene Begriff. Liebe, sagt er. Vielleicht bin ich das auch. Nicht dass es für Duncan ein Problem gewesen wäre. Er hätte uns gratuliert zu unserem raschen Handeln und dem entschiedenen Einsatz verfügbarer Mittel. Klares, schnelles, geschmeidiges Handeln erfordert Mut. Da hast du deine zwei, drei Sekunden reale Welt, mein lieber Duncan; mehr Zeit wird es kaum in Anspruch genommen haben. Am Anfang zwar nur – ich muss lächeln, ich kann nicht anders – in Form eines netten kleinen Gedankenspiels, das niemandem schadet, im Gegenteil. Der Fantasie freien Lauf zu lassen ist Training, und das kann nie schaden. Die Praxis allerdings geht ihre eigenen Wege. Ausformulierte Gedanken sind Tatbestände und führen zu höchstpersönlichen Blutlachen.
    Im Abgrund zwischen drei und vier betrachte ich die Konturen von Alexanders maßvoll trainiertem Körper. Ich will ihn hier in mir, will diesen Durchbruch zu einer Gegenwart, der ich nicht auskommen kann, auch wenn ich ganz genau weiß, dass ich diese Gegenwartsschaumkrone nicht benennen kann, geschweige denn festhalten, bevor sie zerläuft. Der Nachtbogen: muss doch einmal runterkommen.
    Ich greife nach der verlockenden Festigkeit seiner Schulter, er zuckt, ich lasse die flache Hand über den Rücken gleiten, den schönen Rücken, in dem die Muskeln unkontrolliert zu arbeiten beginnen, als sie mich spüren, eine lokale Brise, die die Oberfläche furcht, und tief im Schlaf noch nimmt er meine Hand

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