Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
dem Versiegen der Aufregung darüber kommen die raumfüllenden Nachrufe auf Duncan. Ann wird durch eine neue Sendeschiene ruhiggestellt, klugerweise besinnt sie sich darauf, dass sie Duncans Namen angenommen hat: Statt Fragen an Ann nun Duncan’s Answers .
Und Duncan antwortet. Die aktuelle Version, getragen nicht zuletzt von Interviews mit den paar Angehörigen des todbringenden Volksauflaufs vor dem Turm, die zu langsam und zu instinktlos gewesen waren, um der Festnahme zu entkommen, lautet wie folgt: Der Mord an Duncan ist die Folge der liberalen Hetze gegen seine Mediengruppe. Eine direkte Konsequenz der feindseligen Berichterstattung von Leuten, die ein paar unbedachte scherzhafte Äußerungen, wie sie schließlich nur zu verständlich seien und uns allen passieren könnten, wie es hieß, zu einem Riesenskandal aufgebauscht hätten. Die Frage stelle sich ja, sagte ein besonders findiger Fernseheiferer, ob nicht das für sich genommen der eigentliche Rassismus sei. Wie auch immer: Aufgestachelt von den einschlägigen Medienberichten hätten zwei irregeleitete Angestellte, (unzufrieden, sich zu Unrecht deklassiert fühlend etc.) Rache mit Bereicherung verbinden wollen. Der Rest ist absehbar; die Möglichkeit religiöser Hintergründe werde verfolgt usw., man untersuche, ob einer der Verdächtigen, gemeint ist Peter, wer sonst, Kontakt zu einschlägig bekannten Predigern gehabt habe. Absehbar und sehr überzeugend, überhaupt in Alexanders Interpretation, die er mir in seinem Badezimmer liefert. Ich weine fast vor Lachen, lautlos, während mein Oberkörper sich am Rand des Whirlpools krümmen muss. Und der Grund dafür, dass Alexander so überzeugt, ist, dass er seine Darstellung selbst umso mehr glaubt, je plastischer er sie ausmalt, nicht nur fürs Abhörprotokoll, das Gesicht vergoldet von der Morgensonne, deren deformierter Ball sich im See spiegelt.
Pressekontakte, wird er später vorschlagen, als ich die Wasserunterbrechung erwähne, die die Hausverwaltung angekündigt hat. Wegen eines Wasserschadens im 22. Stock? Verstopfung? Kann mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls soll ich von Alexanders Taten sprechen. Ausblick hätte ich auf den grünen Fluss und all die glasklaren Hochhauspfeiler gegenüber, die die Farbe eisig reflektieren und das Ufer säumen wie die Teile eines Sicherheitszauns, ein Arbeitszimmer in der Stahlstadt, und Alexander sagt: na, was sagst du. Das wäre dann dein Lohn, sagt er, mein Anzugskrieger, ohne mit der Wimper zu zucken, ein wenig lächerlich finde ich das und ich versuche, den Körper unter der Schale zu berühren, er lässt sich schälen. Erst Nächte später küsst er mich, in einem tiefen Nachtloch küsst er mich endlich, saugt mir die Zunge aus dem Mund und lässt es zu, dass unsere Körper den Abgrund überbrücken, und wie jedes Mal kann ich nicht glauben, dass diese Überbrückung nicht von Dauer ist, nicht sein kann, dass sie nichts als eine manifest sich austobende Vortäuschung ist. Wovon? Von Einigkeit. Von zwei Körpern in einem. Von einem Geist in zwei kommunizierenden Gefäßen, das zumindest haben wir mit Sicherheit, den zweifachen Anteil am gemeinsamen Ungeist, die Erinnerung, doch auch die teilt sich, die Hälften wandern ab, während die Schnittmenge schwindet. Was mir bleibt: die Deutungshoheit. Anzugskrieger und Funktionsträger sind austauschbar.
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Die Nacht schlägt einen weiten Bogen, von einer Bettseite zur anderen, den ich abwandere, immer ohne Alexander zu wecken, horchend: sein Atem gerät nur manchmal ins Stocken, taumelt, überstürzt sich, läuft voraus. Statt dass ich in mein Zimmer gehe, horche ich, statt dass ich der unstillbaren Wachheit gut ausgeleuchtet freien Lauf lasse und mir zum Beispiel einmal wirklich zu Ende überlege, wo der Fassadenputzkorb nun geparkt wird (vermutlich klappt ihn die Putzfirma zusammen und verstaut ihn in einem Fahrzeug), bleibe ich hier. An der Kante spielt sich alles ab, dem Rand der Hüftschaufeln, der Schlüsselbeinkante, die ich mit den Händen entlangfahre, während die Atemgeräusche neben mir stottern.
Diese lange Nacht arbeite ich ab, als müsste ich auf den Morgen warten. Polizistenmord: Giftspritze. Nein, in Illinois ist die Todesstrafe ausgesetzt. Nicht nur Stuart fordert ein Moratorium des Aussetzens in ausgewählten Fällen. Geschickt. Manchmal frage ich mich, auf welche raffiniert verschachtelte Weise das alles in einem Selbstbewusstsein Platz haben kann. Ansonsten so wenig Staat wie möglich,
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