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Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Titel: Die Königin ist tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Flor
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mit frischer Luft zu tun bekommt, das löst nichts als Würgereflexe bei mir aus, da kann es noch so symbolträchtig und lebensfroh aus den Warzen quellen, die hell und wund werden am Anfang, denn nichts ist hartnäckiger als Säuglingsgaumen, überhaupt Zwillingsgaumen. Und während Alexander die Tassen vor uns hinstellt, mit spiegelgleich abstehenden Porzellanohren, fällt mir ein, wie man Neugeborene noch täuschen kann, mit dem Zeigefinger am Gaumen kitzeln, wie sie reflexartig damit beginnen, wild und hungrig am Finger zu saugen, und dabei einen beängstigend großen Unterdruck erzeugen, solange, bis sie merken, dass nichts kommt, was ihr tiefstes Bedürfnis stillen könnte, nichts, das nahrhaft wäre, und schließlich loslassen, um ihren Frust sich Bahn brechen zu lassen in heftigem Geschrei. Verrat ist natürlich, denn die Natur hat noch alle verraten, die annahmen, sie wäre auf ihrer Seite. Auf irgendeiner Seite. Die letzten Tropfen fallen aus der Maschine durch den Ablaufrost: beim römischen Brudermord ging es auch nur um einen Gebietsstreit, stelle ich fest. Er blickt vom Kaffee auf, ratlos, ich setzte fort: Wann geht es je um etwas anderes?
    Er verlangt Resultate. Auf der Stelle. Man solle in Peters Umfeld graben, ob das nicht klar genug gewesen sei, Peter, wiederholt er, den Nachnamen habe er vergessen (das stimmt nicht, er hat ihn nie gekannt, denke ich), der Schwarze jedenfalls, den sie umgebracht hätten, da müsse doch was klingeln. Vor unserer Tür, sagt er. Da müsse sich was finden lassen. Jemand, der einen ordentlichen Zorn auf das Vorgehen der Polizei in sich trage. Nicht nur beim Niederschlagen der Unruhen. Zorn gibt immer was her. Da kommt man weiter. Und dann ganz kühl analysieren, sagt er. Der Quelle des Zorns auf den Grund gehen. Dass die Leute Stuarts raschen Gang an die Medien mit dem Mord in Verbindung brächten, sei ja nur zu verständlich (ich zucke zusammen, der Mitschnitt?). Die Flugzettel. Ja, sagt er abschließend, ich sehe, wir verstehen uns.
    Ich habe auch verstanden. Ich habe längst verstanden, worauf das hinauslaufen soll: die Aufhetzungsnummer, Rachebedürfnisse bei den Angehörigen schüren. Schüren lassen, natürlich, doch mit wem versteht er sich da? Das Werkzeug nicht selbst führen zu können, ist ein Fehler.
    (Das sanfte Schwingen eines leblosen Körpers ist es, das mir nicht aus dem Kopf geht. Die Vorstellung, dass sie ihn nicht mal an Genickbruch sterben haben lassen, nein, langsam haben sie ihm die Luft abgeschnürt, und weil das so schnell auch nicht geht, ist er erst im Krankenhaus gestorben. Zum Glück, könnte man sagen, angesichts der Folgen der massiven Sauerstoffunterversorgung des Gehirns. Und nebenbei bemerke ich, dass nicht nur ich den Haushofmeister schon vergessen habe.)
    Am Seeufer halte ich nach Kindern Ausschau, doch ich sehe keine mehr, die Kinder sind vom Strand verschwunden, wie mir scheint. Er wird mir doch nicht eine Falle stellen, eine Grube graben, doch nicht solange die Kontraktionen des Unterbauches uns zusammenschweißen. Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist, wo soll das sein? Das Negativ des Gasthausnamens – nein, es war eine Stadt, da bin ich mir sicher. Die hiesigen Kinder könnten mich Schnittführung lehren, davon gehe ich einmal aus. Ob sie es nicht an mir üben würden? Ich muss mir ein kleines nehmen, ein kleines, und von hinten (links unten nach rechts oben) die Klinge ziehen. Das Problem sind die DNA-Spuren, Haare, Jackenflusen. Von vorne, auf Abstand, Augenhöhe (links oben nach rechts unten), nur im Schlaf. Der Kugelschreiber übrigens, nichts als ein Kugelschreiber, ich habe mich vergewissert.
    Was soll diese Sentimentalität in Bezug auf Peter? Wer ist schon Peter? Ein einzelner aus einem ganzen Baseballfeld von Leichen auf der ewig unruhigen Südseite. Wir wissen doch, dass wir auf Lebenskosten unzähliger anderer leben, die die Ungnade der falschen Geburtsumstände kalt erwischt hat, die das Unrecht pflichtschuldig abtragen, das wir ihnen antun, ohne dass wir etwas daran ändern könnten oder es auch nur persönlich meinten, das versteht sich. Und vorher stopfen sie uns noch ihre Billigprodukte hinten und vorne hinein, bis wir Essstörungen kriegen vor lauter Gier. Was tut da ein Toter mehr auf der Habenseite? Auf unsere Seite, wenn ich wüsste, was meine Seite ist: die richtige Seite der Ungleichung, soviel ist sicher. So was wie Hass habe ich eigentlich selten empfunden. Einmal am Strand, glaube ich, aber ich kann

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