Die Königliche (German Edition)

in deine Räume und hole einen Heiler. Du brauchst Schlaf.«
    »Wusstest du, dass Tilda und Bren ein Paar sind und wollen, dass Teddy ihnen ein Baby schenkt?«, fragte er schwankend.
    Das war zu erstaunlich, um etwas darauf erwidern zu können. »Ich bringe dich zu Madlen«, sagte Bitterblue streng. »Komm jetzt.«
    Als Bitterblue in ihre Räume zurückkehrte, war das Licht bereits dabei, zu verblassen. Der Himmel war violett wie Safs Augen, und ihr Wohnzimmer schimmerte im Licht der Lampen, die Helda angezündet hatte. In ihrem Schlafzimmer zündete sie sich Kerzen an, setzte sich neben der Truhe ihrer Mutter auf den Boden und fuhr mit den Fingern über die Schnitzereien im Deckel.
    Sie fühlte sich furchtbar einsam, als sie ganz allein zu verstehen versuchte, was heute alles geschehen war. Mama? Würdest du dich für mich schämen?
    Als sie eine Träne wegwischte, die auf den Truhendeckel gefallen war, musterte sie die eingeschnitzten Symbole genauer. Ihr war natürlich vorher schon aufgefallen, dass Ashen einige der Schnitzereien als Vorlagen für ihre Stickerei benutzt hatte, aber sie hatte sich nie näher damit beschäftigt. Sie waren in ordentlichen Reihen auf dem Deckel angeordnet – keine wiederholte sich: Stern, Mond, Kerze, Sonne, zum Beispiel. Boot, Muschel, Schloss, Baum, Blume, Prinz, Prinzessin, Baby und so weiter. Nachdem sie jahrelang die Kanten ihrer Laken betrachtet hatte, wusste sie genau, welche der Symbole Ashen verwendet hatte.
    Plötzlich überkam sie eine Erkenntnis und breitete sich überall in ihr aus. Noch bevor sie sich die Mühe gemacht hatte, nachzuzählen, wusste sie Bescheid. Sie zählte trotzdem, nur um sicherzugehen.
    Auf der Truhe waren hundert Symbole eingeschnitzt. Sechsundzwanzig davon hatte ihre Mutter für ihre Stickerei verwendet.
    Bitterblue hatte ein Chiffre-Alphabet vor sich.



Es war kein direkt übertragbares Chiffre-Alphabet. Als Bitterblue Ashens sechsundzwanzig Sticksymbole auf der Truhe ausfindig gemacht hatte und dem Symbol ganz oben links den Buchstaben A zuordnete, dann dem nächsten Symbol in der Reihe, einem abnehmenden Mond, den Buchstaben B , und so weiter, und anschließend das so entstandene Bilderalphabet mit den Laken ihrer Mutter verglich, kam nichts als Kauderwelsch dabei heraus.
    Sie versuchte dem Symbol ganz unten rechts den Buchstaben A zuzuordnen und sich dann andersherum die Truhe hochzuarbeiten. Sie versuchte die Truhe in Spalten von oben nach unten durchzugehen.
    Nichts davon funktionierte.
    Also gut; vielleicht gab es einen Schlüssel. Welches Schlüsselwort hätte Ashen wohl verwendet?
    Bitterblue atmete einmal tief durch, dann entfernte sie die doppelten Buchstaben aus ihrem Namen und legte sich das entstandene Alphabet zurecht.
    B I T E R L U V W X Y Z A
    C D F G H J K M N O P Q S
    Dann wandte sie es auf die Symbole auf der Truhe an, wobei sie wieder oben links anfing:

    Das Laken auf ihrem Schoß fest umklammernd, probierte sie es an Ashens Stickerei aus.

    Als das Ergebnisse brachte, teilte sie diese Ergebnisse in Wörter und Sätze auf und fügte Satzzeichen hinzu. Wo Ashen Buchstaben ausgelassen hatte, wahrscheinlich der Schnelligkeit zuliebe, fügte sie auch diese hinzu.
    Ara kommt hinkend zurück.
    Sie kann sich nicht erinnern, bis ich es ihr zeige. Als sie es sieht, tut es weh und sie schreit.
    Soll ich Ara nichts sagen? Ist es besser, sie weiß nichts?
    Soll ich sie töten, wenn ich weiß, dass er den Tod für sie plant? Wäre das gnädig oder verrückt?
    Helda fand Bitterblue an jenem ersten Tag zitternd in einem Berg aus Laken auf dem Boden, die Arme um sich geschlungen. »Königin!«, rief Helda und kniete sich neben sie. »Sind Sie krank?«
    »Meine Mutter hatte eine Dienerin namens Ara, die verschwunden ist«, flüsterte Bitterblue. »Ich erinnere mich.«
    »Königin?«
    »Sie hat in Chiffren gestickt, Helda! Mama. Sie hat offenbar versucht, sich Notizen zu machen, die sie lesen konnte, um sich an die Wahrheit zu erinnern. Sie muss Stunden gebraucht haben, um einen einzelnen kleinen Absatz zu verfassen! Hier, hilf mir. Mein Name ist das Schlüsselwort. Ein Stern ist das B . Ein abnehmender Mond ist das I , eine Kerze das T , die Sonne das E , eine Sternschnuppe das R , ein zunehmender Mond das L , die kreisförmige Sternenkonstellation das U . Mein Name besteht aus Licht«, rief sie aus. »Meine Mutter hat Lichtsymbole für die Buchstaben meines Namens ausgewählt. Ist Bo …« Bo war krank. »Ist Giddon wirklich weg?«
    »Ja,