Die Königsmacherin
Stuhl stand, und wahrscheinlich darauf abzielte, dort selbst einmal zu sitzen. Bonifatius allein konnte ihr raten. Sie mußte sofort nach Prüm.
Erst als sie sich von den Gräbern erhob, spürte Bertrada, daß ihr die Kälte fast die Glieder gelähmt hatte. Mühsam richtete sie sich auf, streckte sich schmerzhaft, schüttelte die düsteren Gedanken ab und verließ den Küchengarten. Auf dem Weg in ihre Gemächer gingen ihr all die Sorgen durch den Kopf, die Pippin jetzt belasteten.
Grifo war zwar aus dem Weg geräumt, aber es gab Gerüchte, daß Karlmanns Sohn Drogo, inzwischen mündig geworden, Anhänger um sich geschart hatte und sich gegen seinen Onkel erheben wollte. Es hieß, auch er wolle König werden und über Austrien herrschen, also das Erbe Karlmanns antreten. Das sei der Wunsch seines Vaters gewesen. Pippin habe schließlich diesen Reichsteil nur als Treuhänder verwaltet. In Bertrada stieg ein großes Unbehagen auf. Sie sah das Gesicht Karlmanns vor sich, des einzigen weltlichen Mannes, in dessen Beisein sie sich unbedroht gefühlt hatte und mit dem sie ganz unbefangen umgegangen war. Sie hatte sich nur selten erlaubt, über Liebe nachzudenken, aber sollte es in ihrem Leben jemals eine solche gegeben haben, dann hatte sie wohl Karlmann gegolten. Dennoch verbat sie sich Schuldgefühle, daß sie seinem Sohn das Erbe nicht gönnte. Wohl und Zukunft ihrer eigenen Kinder gingen nun einmal vor.
Vor seiner Abreise hatte Bertrada ihrem Gemahl davon abgeraten, dem Wunsch des Heiligen Vaters zu entsprechen und ihn im Wallis zu empfangen.
»Schick Pater Fulrad, den kennt und schätzt er. Er soll ihn nach Ponthion bringen, wo du ihn dann mit allen Ehren begrüßen kannst«, riet Bertrada. Pippin zögerte kurz, da Bischof Chrodegang dem Pontifex von Rom aus das Geleit gegeben hatte und ihm die Rivalität zwischen Fulrad und Chrodegang bekannt war. Doch angesichts der unmittelbaren Gefahr, die von Drogo ausging, durfte er selbst jetzt unmöglich wochenlang unterwegs und schlecht erreichbar sein. Er würde also in Quierzy alles für den Papstbesuch vorbereiten. Bertrada nahm er das Versprechen ab, daß sie mit den Kindern zum Weihnachtsfest ebenfalls dort eintreffen würde. Inzwischen befand sich Pater Fulrad wohl schon auf dem Weg.
»Warum ist denn noch nichts vorbereitet?« fragte Bertrada ungehalten, als sie nach dem Besuch der Gräber in ihr Zimmer kam und Mathilde aufgelöst vor den noch ungepackten Truhen sah, die auf dem Ochsenkarren nach Prüm mitgeführt werden sollten.
»Herrin, die Kinder sind verschwunden!« jammerte die Kammerfrau. »Als ich zu Euch in den Garten ging, spielte Karl noch mit Karlmann Eberjagd, und jetzt sind beide fort!«
»Karlmann weiß doch noch gar nicht, was eine Eberjagd ist!« herrschte Bertrada sie verärgert an. »Jeder soll sofort seine Arbeit liegenlassen und sich auf die Suche nach den Kindern machen!«
Karlmann wurde wenig später nackt aus einem Trog im Schweinestall gezogen. Ein Wunder, daß er nicht erstickt war, denn in seinem Mund steckte ein Knebel. Erst später erkannte Bertrada ihn als das Stück Stoff, das vom Mantel des heiligen Martin stammte, des Schutzheiligen der Familie. Pippin führte die Reliquie sonst auf all seinen Feldzügen mit. Er hatte sie diesmal Bertrada überlassen, um seiner Familie den besonderen Beistand des Heiligen zu sichern. Und Karl hatte sich tatsächlich erdreistet, sie aus dem Behältnis in ihrer Lade zu entfernen! Und nun hatte der heilige Martin wohl das Leben des kleinen Karlmann beschirmt. Als ein Knecht den Zweijährigen unter dem Haufen aus Abfällen hervorzog, nieste der Junge zwar ganz gehörig, schien aber ansonsten wohlauf zu sein. Von bösen Ahnungen erfüllt, fragte Bertrada, wer ihm das angetan habe. Zur Antwort entwich ein Krächzen seiner Kehle, das nur die Mutter verstand.
»Wo ist Karl?« fuhr sie Mathilde an.
Diese berichtete atemlos, ein Bewohner von Mürlenbach habe berichtet, daß der Fünfjährige allein in wildem Ritt in Richtung Schwarzer Forst davongestürmt sei. Er habe seinem kleinen Roß in die Flanken getreten, als ob der Teufel selbst hinter ihm her wäre.
Bertrada verfügte, dem Mann die Steuern für das kommende Jahr zu erlassen, schwang sich auf ihren Fuchs, der inzwischen zwar alt geworden, aber immer noch zäh war, und preschte auf den Wald zu. Sie dankte Gott, daß kein neuer Schnee die Spuren des kleinen Pferdes bedeckte, und wunderte sich, wie tief ihr Sohn sich in den Wald gewagt hatte.
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