Die Königsmacherin
es einen fränkischen König geben, der nicht von uns beiden abstammt! Adam und Eva begründeten die Menschheit, Pippin und Bertrada das große neue Königsgeschlecht. Dann kann Grifo nichts mehr ausrichten, ebensowenig wie Drogo, der irgendwann vielleicht auch noch mal Rechte anmeldet.«
Keiner von beiden dachte überhaupt noch an den ehemaligen König Childerich III. der vor Pippins erster Krönung zusammen mit seinem Sohn, unbemerkt von Volk und Welt, zum Mönch geschoren und ins Kloster Saint Bertin abgeschoben worden war. Das Geschlecht der Merowinger war jetzt endgültig zum Aussterben verurteilt. Diejenigen, die im Geschlecht der Merowinger die leiblichen Nachfolger Jesu verehrt hatten, versanken allmählich in der Bedeutungslosigkeit. Ein neues Zeitalter war angebrochen.
Als Bertrada jetzt, ein halbes Jahr später, an dieses Gespräch zurückdachte, spürte sie ein heftiges Ziehen in den Eingeweiden. Was war sie doch hoffärtig gewesen, von ihrer Macht und ihrem Einfluß überzeugt, ja, geradezu verblendet! Sie hatte sogar geglaubt, über den Heiligen Vater gebieten zu können! Als ihr Pater Fulrad vor einem Jahr mit verschwörerischem Blinzeln mitgeteilt hatte, die Urkunde der Konstantinischen Schenkung sei überraschenderweise tatsächlich aufgetaucht und bestätige, daß all diese weiten Landstriche tatsächlich dem Papst gehörten, hatte sie sich als Werkzeug Gottes gesehen, dazu auserkoren, die Geschicke der ganzen Welt zu lenken. Der einstigen Flora von Ungarn schenkten heute die Großen der Zeit Gehör! Auch darum hatte sie trotz ihrer Schwangerschaft unbekümmert am Feldzug gegen die Sachsen teilgenommen. Gott würde sie schon schützen, denn er hatte Großes, ja, Außergewöhnliches mit ihr vor! Das hatte ehedem die Hexe ihrem Vater prophezeit, wie ja auch die Muhme unmißverständlich angedeutet hatte, daß sie zu Höherem berufen war. Sie würde die Welt verändern! Und genau damit hatte sie jetzt angefangen. Sie hatte sich ausgemalt, wie ihr Kind nach Pippins glorreichem Sieg auf jenem Boden zur Welt kommen werde, der vom Blut so vieler Aufständischer, aber auch der Anhänger Pippins getränkt war. Später, so hatte sie die Geschichte weitergesponnen, würde man daraus ableiten können, daß dieses Kind zum Herrscher über die Sachsen bestimmt sei. Gemahlin und Mutter von Königen. Sie hatte sich sogar selbst zu ihrer Weitsicht beglückwünscht.
Manchmal dachte sie allerdings voll Bangen an die feurige Narbe im Gesicht ihres Schwagers Karlmann, die Erinnerung an einen Bruderzwist früher Jahre. Ihre Nachkommen sollten sich weder als Kinder befehden, noch einander später um Macht oder Besitz bekriegen. Doch das war nur dann wirklich ausgeschlossen, wenn Pippin über ein Land gebot, das zu groß war, um von einem einzigen Menschen regiert zu werden. Einer ihrer Söhne könnte ja die geistliche Laufbahn einschlagen und als Papst später über die Ländereien herrschen, die Pippin wohl demnächst für den Heiligen Stuhl erobern würde. Dieser Sohn brauchte dann auch keine feindlichen Einfälle zu befürchten, denn seine mächtigen Brüder – allesamt Könige riesiger Länder – würden ihm den Rücken freihalten. Noch unzählige Generationen später würde man der Ahnin Bertrada von Laon huldigen, der ersten fränkischen Königin, deren großen Opfern und weitblickender Entscheidungskraft die Einigung der Welt zu danken war. So hatte sie noch vor einem halben Jahr gedacht.
Inzwischen war das Kind, das sie erwartet hatte, ungetauft gestorben. Gott hatte sie für ihren Hochmut, eine der sieben Todsünden, bestraft. Auch sie selbst hatte auf dem Weg nach Mürlenbach dem Tod ins Auge gesehen, und wenn Pippin nicht so gut für sie gesorgt und der Herr sich ihrer nicht erbarmt hätte, wäre sie gewiß gestorben. Bertrada beugte das Haupt vor den Gräbern ihrer beiden toten Söhne und bat um Vergebung für ihre Selbstüberhebung. Aber das genügte nicht. Wie Karlmann mußte auch sie Buße tun. Am Morgen hatte sie die Nachricht erhalten, daß sich Bonifatius auf dem Weg nach Prüm befand. Er war der einzige, mit dem sie über alles offen reden konnte. Ihm konnte sie ihre Schuld bekennen. Nur der unbestechliche Erzbischof würde ihr sagen können, welche Sühne angemessen war. Nicht Pater Fulrad, der gerade erst selbst ausgedehnte Ländereien für Saint Denis erworben hatte und der weltlichen Macht überaus zugetan war, noch Bischof Chrodegang, der ständig beweisen mußte, wie nahe er dem Heiligen
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