Die Königsmacherin
Fehlgeburt. Sie hatte das Schicksal herausgefordert, sich als Frau und Mutter versündigt, und Gott hatte sie schwer dafür gestraft. Mathilde verschloß solche Gedanken allerdings tunlichst in ihrem Herzen und sagte gegenüber der übrigen Dienerschaft und ihren Eltern der erhabenen Herrin stets nur Gutes nach. Das fiel ihr nicht schwer, denn sie verehrte diese Frau ja doch, die nicht nur über so viele Dinge Bescheid wußte, sondern auch am Schicksal der Kammerfrau Anteil nahm.
Mathilde hatte ihr einmal gestanden, daß sie zwar gern heiraten, aber bestimmt nie einen Mann finden würde. »So arm und häßlich wie ich bin!«
»Wärst du reich, würde dich ein Mann deines Geldes wegen nehmen«, hatte Bertrada geantwortet. »Wärst du schön, würde er sich mit dir schmücken wollen. Reichtum kann und Schönheit wird schwinden. Du bist ein guter Mensch, Mathilde, und wirst eben den Mann glücklich machen, der dich deines guten Herzens wegen nimmt.«
Mathilde wagte wieder zu hoffen.
Die Eiskruste, die sich in langen Jahren um Bertradas Herz gelegt hatte, machte sie unempfindlich für die Kälte, die von außen kam. Am Grab ihres vierten Sohnes dachte sie nicht an die beiden lebenden Kinder, die jetzt von Dienern umsorgt und für die Reise nach Prüm in Pelze gehüllt wurden, sondern an ihr erstes Kind, das auch unter freiem Himmel zur Welt gekommen war. Damals hatten ihr die Großmutter und Aunegilde beigestanden. Beim vierten Kind war sie auf Mathildes ungeschickte Hilfe angewiesen gewesen. Als sie am Rande des Kampfgeschehens das leblose blutige Bündel in Armen hielt, wußte sie nicht einmal, ob es schon in ihrem Körper gestorben war oder noch ein paar Atemzüge getan hatte, ehe es an dem Qualm der brennenden Hütten des nahen Dorfes erstickt war. Dieser Rauch war so dicht, daß er es den Kämpfenden sehr schwer machte, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Sobald es die Kampfhandlungen erlaubten, war Pippin zu seiner Frau geeilt und hatte dafür gesorgt, daß ihr im Wald fern des Getümmels ein Lager bereitet wurde. Einen Tag und eine Nacht lang rührte er sich nicht von ihrer Seite. Er bettete ihr Haupt in seinen Schoß, flößte ihr aus seinem Lederschlauch Wein ein und vergaß immer wieder aufs neue die eigene Erschöpfung, wenn er auf die entkräftete Gestalt seiner Frau blickte. Warum nur hatte er die Warnungen seiner Ratgeber in den Wind geschlagen und es zugelassen, daß Bertrada ihn auf diesem Feldzug begleitete! Weil er immer schon von einer solch kühnen Frau geträumt oder sich gar ausgerechnet hatte, der Anblick der schwangeren Amazone, ihrer Königin, würde seine Krieger zu höchsten Leistungen anspornen? Nein, die Wahrheit war weit weniger erhaben. Er wollte sie einfach bei sich wissen. Bertrada verkörperte alles, was er sich je von einer Gefährtin gewünscht hatte – bis auf eines: Er war sich ihrer Zuneigung ganz und gar nicht sicher. Selbst zu Zeiten, da sie sich ihm dem Anschein nach sanft und zärtlich hingab, schien es, als ob sie sich innerlich gegen ihn wappnete. Als sei er der Feind, mit dem sie gerade einen etwas fragwürdigen Waffenstillstand geschlossen hatte. Dabei hatte er ihr doch nie den Krieg erklärt! Er hatte angenommen, das Band zwischen ihnen würde fester werden, wenn sie wirkliche Widerstände, einen echten Krieg und seine wahren Feinde hautnah miterlebte. Sie sollte mit eigenen Augen sehen, wie hart er dafür kämpfte, seine Länder zu einigen, sollte selbst entdecken, wie wenig hehr solch ein Kriegerleben wirklich war. Vielleicht würde dies den Panzer sprengen, den sie um ihr Herz gelegt hatte.
Als er in das blasse Gesicht mit den fast weißen Lippen sah, erschrak er über seine Gedanken. Er hatte nur an sich gedacht, daran, wie Bertrada ihn sehen und was sie für ihn empfinden sollte. Nicht ein einziges Mal hatte er überlegt, was er ihr damit antat, sie den Schreien der Frauen und Kinder in den Dörfern auszusetzen, den verstümmelten, zertrampelten, erschlagenen und verbrannten Körpern sowie dem Todeskampf seiner sterbenden Mitstreiter. Sicher, er hatte drei Männer abgestellt, die nicht von ihrer Seite weichen und sie beschützen sollten, und er hatte ihnen eingeschärft, sich stets vom Kampfgetümmel fernzuhalten. Doch nicht alles war bei einem solchen Feldzug berechenbar – und niemand hatte erwartet, daß sich die Sachsen so erbittert wehren oder gar eine Frau, noch dazu die Königin, angreifen würden. Er hatte Bertrada für unverwundbar gehalten.
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