Die Königsmacherin
Eindruck hinterlassen hatte, machte sie betroffen. Allerdings war sie zu jener Zeit auch keine Königin gewesen, ja, noch nicht einmal ›Flora von Ungarn‹.
Empört nahm Mathildes Vater seine Tochter beiseite. Er schalt sie, eine Freundin eingeladen zu haben, die Sklaven beschäftigte. »Auf diesem Gut gibt es keine Hörigen mehr«, polterte er. »Ich dulde nicht, daß hier ein Sklave gehalten wird! Und wenn deine Freundin eine Prinzessin ist!«
»Sie ist die Königin«, sagte Mathilde flüsternd und schlug sofort die Hände vors Gesicht.
Seit ihrer Kindheit in Laon hatte Bertrada nicht mehr so unbeschwerte Tage verbracht wie in diesem Spätsommer in Burgund. Es gab keinen Haushalt, um den sie sich kümmern mußte, keine Rücksichten gegenüber geistlichen oder weltlichen Würdenträgern und keine Politik, die ihre Aufmerksamkeit verlangte. Sie konnte ausreiten, sooft sie wünschte, sich nach Herzenslust ausruhen oder mit Mathildes Mutter im Küchengarten werken. Das Grafenpaar behandelte sie allerdings mit solch großer Hochachtung, daß Bertrada ihre Kammerfrau im Verdacht hatte, den Mund doch nicht gehalten zu haben.
Manchmal versetzte es ihr einen Stich ins Herz, wenn sie Mathildes kleine Brüder im Hof spielen sah, denn sie vermißte ihre eigenen Kinder schmerzlich. Karl war unabkömmlich, da er in Saint Denis auf seine künftigen Aufgaben vorbereitet wurde. Bertrada wußte, was das bedeutete, und sie war fast ein wenig froh darüber, daß sie nicht Zeugin jener Quälereien werden mußte, die einen Knaben zum Mann machen sollten. Der Unterricht war noch das geringste Übel. Wichtiger war vielmehr, daß er abgehärtet wurde und lernte, Widrigkeiten zu ertragen. Die Mönche würden ihn jetzt im Sommer tagelang der Sonnenglut auf einem Feld aussetzen, das er ganz allein umgraben mußte. Im Winter würden sie ihn barfuß in den Schnee schicken und ihn ebenfalls tagelang, nur mit Pfeil und Bogen ausgerüstet, ohne Nahrung im Wald aussetzen. Unerbittlich würden ihn weltliche Lehrer durch die Gegend jagen, sein Pferd zum Scheuen bringen, ihn im Reiterkampf herausfordern und ihn so lange das Schwert führen und die Wurfaxt schwingen lassen, bis ihm die Arme erlahmten. Sie erschauerte bei dem Gedanken, daß der arme Kleine – er war doch noch ein Kind! – demnächst zur Auerochsjagd geschickt werden sollte, um mit Wurf- oder Stoßlanze eines dieser angriffslustigen und blitzschnellen Ungeheuer zu erlegen.
Und nebenbei sollte er auch noch in aller Klugheit der Welt erzogen werden, sollte mühelos lesen und schreiben können, Rhetorik und Dialektik meistern, das Lateinische fehlerlos beherrschen und in Geometrie, Astrologie und Computus, der Kalenderrechnung, beschlagen sein. Und er mußte die Geschichte seiner edlen Vorfahren auswendig können. Pippin hatte dafür gesorgt, daß sie schriftlich festgehalten worden war. Wahrheit und Legende gingen dabei eine sehr enge Verbindung ein. Inzwischen wußte Bertrada, daß Pippin in seiner Jugend am Langobardenhof keinesfalls einem Löwen und einem Stier gleichzeitig den Kopf abgeschlagen hatte. Pippin hatte ihr gestanden, daß dies nacheinander geschehen war und jedesmal mehrerer Hiebe bedurft hatte. Außerdem war der Löwe noch sehr klein und der Stier betäubt gewesen. Doch Pergament war geduldig, und so entnahm ihm ihr Sohn Karl ebenfalls jene Geschichte, die Bertrada einst von ihrem Vater gehört hatte. Neben den Heldentaten der Neuzeit hatte sich Karl auch mit der ferneren Vergangenheit zu beschäftigen. Er sollte ergründen, warum manche Schlachten der Antike verloren oder gewonnen worden waren. Die Zeit war nicht fern, da er seinen Vater auf Feldzüge begleiten und sich auch selbst dem Kampfgetümmel aussetzen mußte. Sohn des mächtigsten Mannes der Welt zu sein war wahrlich kein leichtes Los!
Sie erwog, Karlmann zu sich zu holen. Der Kleine befand sich in der Obhut seiner Amme ebenfalls in Saint Denis. Bertrada hatte schon frühzeitig beschlossen, anders als Karl Martell zu handeln. Dieser hatte seine Söhne voneinander getrennt, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Sie hielt es hingegen für besser, die beiden miteinander aufwachsen zu lassen, und hatte Karl immer wieder darauf hingewiesen, daß er für seinen jüngeren Bruder verantwortlich sei. Den Jüngeren hatte sie aufgefordert, seinem Bruder zu gehorchen, was aber nicht bedeutete, daß er sich alles von ihm gefallen lassen mußte. Aber er sollte sich nur dann an einen Erwachsenen wenden, wenn er
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