Die Königsmacherin
nennen.«
»Auch wenn wir allein sind?« fragte Mathilde atemlos.
»Auch dann.«
Nur zu gut konnte sich Bertrada noch an die Zeit erinnern, da sie in Prüm und Mürlenbach als Flora gelebt hatte, aber ein kleiner Kreis von Eingeweihten bereits wußte, wer sie wirklich war. Ihre Großmutter und Vater Gregorius hatten sich immer besorgt umgesehen, wenn sie vertraulich mit ihr geredet oder sie mit ihrem richtigen Namen angesprochen hatten. Dieses Unbehagen wollte sie sich, Pippins Männern und Mathilde ersparen.
Nun versprach auch der Abt des Klosters von Vienne, ihr Geheimnis zu wahren, doch schien ihn etwas anderes zu bekümmern. Als Bertrada ihn darauf ansprach, begann er zögerlich: »Es sind schwere Zeiten angebrochen, meine Tochter. Der König hat viele Feinde, und ich möchte keinen Fehler begehen, der ihm schaden könnte. Seine Gemahlin …«
»Ihr seid umsichtig, das wird meinem Gemahl gefallen«, unterbrach ihn Bertrada. »Ihr wollt einen Beweis, ehrwürdiger Vater, daß ich diejenige bin, für die ich mich ausgebe?«
Wie passend, dachte sie, daß der Abt Thomas heißt. Er neigte verlegen den Kopf.
»Wir sollten dafür vielleicht das Haus des Herrn verlassen?« schlug er fast verschämt vor.
»Nicht nötig. Der Herr hat mich schließlich so gestaltet«, versetzte Bertrada, schlüpfte aus ihren gleich großen Schuhen und zeigte ihm, daß ihr linker Fuß eine halbe Handbreit länger als der rechte war. Nachdem ihr Vater und auch sie selbst jahrelang große Mühen aufgewendet hatten, um diese Abweichung zu verbergen, hatte ihr Mann inzwischen öffentlich verkündet, diese Besonderheit seiner Gemahlin sei nur außergewöhnlich begnadeten Frauen verliehen. Er hatte seine Untertanen dazu aufgefordert, allen, die so geschaffen seien, mit besonderer Achtung zu begegnen. Gerüchten zufolge hatte dies im Lande verschiedentlich sogar zu Selbstverstümmelungen geführt. Kaum jemand kannte Bertradas Gesicht, aber das ganze Frankenland wußte um ihre ungleichen Füße. Als ihr zugetragen wurde, daß sie inzwischen überall ›Berta mit dem großen Fuß‹ genannt wurde, empfahl ihr Pippin, diesen Beinamen mit dem gleichen Stolz zu tragen wie er den seinen, ›Pippin der Kurze‹.
Der Abt warf nur einen hastigen Blick auf ihre Füße. Er überlegte, wie er schnell die besten Gasträume angemessen herrichten könnte, und bot ihr alle Hilfe an, derer sie bedurfte.
»Ich werde nicht in der Abtei nächtigen, sondern bei Freunden in der Nähe«, erwiderte sie. »Gebt mir aber bitte den Sklaven mit, den ich soeben im Hof getroffen habe.«
»Gerade den Sklaven Teles kann ich jetzt schlecht entbehren«, erwiderte der Abt betrübt. »In Zeiten wie diesen schätzt sich jede Abtei glücklich, wenn es in ihren Mauern jemanden gibt, der griechische Texte übersetzen kann. Beklagenswerterweise verfügt keiner unserer Mönche über diese Kenntnisse.« Er würde ihr aber gern so viele andere Sklaven mitschicken, wie sie wünsche.
»Nein, es muß Teles sein«, bestimmte Bertrada in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Sie setzte hinzu, daß sie ihn anschließend mit an den Königshof nehmen wollte, da auch ihre Söhne eines guten Griechischlehrers bedurften. Sie werde dafür ihren Gemahl bitten, aus Rom Ersatz nach Vienne zu schicken. Dem Abt blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich dem Wunsch der Königin zu beugen.
Teles konnte nicht reiten, und er war sehr überrascht, als die edle Dame beschloß, den zweistündigen Marsch zu dem kleinen Dorf ebenfalls zu Fuß zurückzulegen.
Sie war mit drei Reitern gekommen, einen hatte sie noch im Kloster mit einem Auftrag nach Rom fortgeschickt und den beiden anderen ausdrücklich befohlen, ihr mit den Pferden in gebührendem Abstand zu folgen. Die beiden Männer hatten einander besorgt angesehen. Ihr Herr wäre sicher außer sich, wüßte er, daß sie die Königin mit einem Sklaven allein des Weges ziehen ließen.
»Teles ist friedlich und läuft nicht davon«, hatte der Abt sie beruhigt. »Er weiß inzwischen, daß er jedesmal wieder eingefangen wird. Anfangs hatte er zwar viermal versucht, sich davonzustehlen, aber seit mehr als zehn Jahren hat er sich nun in sein Schicksal ergeben. Es geht ihm ja auch gut bei uns, wahrscheinlich besser als in seiner Heimat. Und eure Herrin hat Großes mit ihm vor, das wird er sich nicht entgehen lassen wollen.«
Noch mehr als die Tatsache, daß die edle Frau zu Fuß ging, erstaunte Teles, daß sie plötzlich das Wort an ihn
Weitere Kostenlose Bücher