Die Königsmacherin
Bertrada an die Brüstung des hölzernen Vorbaus lehnte und auf das Treiben in Hof und Garten der Abtei hinunterschaute. Bertrada nickte.
»Der Korb neben ihm deutet darauf hin, daß er Aufgaben im Garten zu erledigen hat. Aber er hat sich seit dem Ende der Sext noch nicht von der Stelle gerührt und läßt sich das Gesicht von den Strahlen der Sonne wärmen.«
»Vielleicht ist er ins Gebet versunken?« schlug Bertrada als Erklärung vor. Sie deutete auf den Holztisch vor dem Haus des Abtes, an dem Bonifatius, Vater Gregorius und Karlmann im Gespräch vertieft saßen.
»Worüber sie wohl reden?« überlegte sie laut.
»Das kann ich dir sagen.« Frau Berta lachte kurz auf. »Der Bischof wird Karlmann Vorhaltungen darüber machen, daß er und Pippin ihren Stiefbruder Grifo um sein Erbe betrogen und ihn auf dem Chèvremont bei Lüttich gefangengesetzt haben.«
»Grifo? Ist das nicht der Sohn Swanahilds, der zweiten Gemahlin Karl Martells?« fragte Bertrada überrascht.
»Du bist gut unterrichtet«, erwiderte Frau Berta nachdenklich. Stammte das Mädchen etwa aus Neustrien oder gar Burgund? »Nicht viele Menschen wissen von Grifo. Auch sein Vater Karl hat ihn erst auf dem Totenbett bedacht und ihm als Regnum Teile von Austrien, Neustrien und Burgund zugesprochen. Als ob es möglich wäre, das Amt des Majordomus ohne Legitimierung durch einen König zu vererben!« Sie schnaubte verächtlich. »Aber Karlmann und Pippin wollten nicht teilen und haben kurzerhand die rechtmäßige Gemahlin Swanahild zur Friedelfrau Karls erklärt und sie ins Kloster Chelles verbannt. Das hat den Bayern gar nicht gefallen.«
»Weil Swanahild aus Bayern stammt«, sagte Bertrada nickend.
»Nicht nur deswegen. Du bist wohl zu lange unterwegs gewesen, um vernommen zu haben, daß Odilo von Bayern vor kurzem Hiltrud geheiratet hat, die Schwester von Karlmann und Pippin. Und die hat sich um den kleinen Grifo – er ist ja gerade erst fünfzehn Jahre alt – immer rührend gekümmert, also ist damit zu rechnen, daß sich die Bayern gegen die beiden Hausmeier erheben werden.«
»Und was hat der Bischof damit zu tun?« fragte Bertrada.
»Karlmann und Pippin müssen sich bewaffnen – und womit, glaubst du, bezahlen sie den kommenden Krieg?«
Bertrada hob die Schultern.
»Ganz einfach: Sie enteignen Klostergut. Und später verschenken sie es an die Männer, die sich im Kampf hervorgetan haben.«
»Und Prüm?« fragte Bertrada bestürzt.
»Keine Sorge«, erwiderte ihre Großmutter grimmig. »Sie werden es nicht wagen, sich an meinem Besitz zu vergreifen. Und an dem armseligen Klostergelände selbst dürfte den Herren kaum gelegen sein.«
»Gehört Euch denn das alles hier?« fragte Bertrada verblüfft und bewegte die Hände in einem großen Kreis, der das Tal der Prüm und die umliegenden Höhen umschloß.
»Du kannst tagelang reiten, mein Kind, und wirst dich immer noch auf dem Gebiet befinden, das ich von meiner Mutter geerbt habe«, erklärte Frau Berta. »Einen kleinen Teil davon habe ich dem Kloster gestiftet, aber natürlich wartet der Abt darauf, daß ich ihm noch mehr Güter überschreibe. Deshalb wird er auch mit meinem einstigen Besitz nichts tun, was ich nicht gutheiße. Er fragt mich bei jeder Entscheidung um Rat und tut alles, was ich ihm auftrage. Auf diese Weise erhalte ich mir immer noch das Sagen über das Land. Nur bin ich nicht mehr für jede Kleinigkeit verantwortlich. Gerichtstage abzuhalten, beispielsweise, war mir immer ein Greuel. Trotzdem bin ich auch heute meistens dabei anwesend. Und äußere mich natürlich auch. Letztlich gilt mein Urteil, denn wer viel Land hat, hat viel Macht.«
Überwältigt schwieg Bertrada. Nie hatte sie die Größe des Landes geahnt, das ihr als letzter Erbin ihres Geschlechts einst vorbestimmt gewesen war – und das durch den Kleidertausch im Wald jetzt in andere Hände gelangen würde.
Ihr Gesicht verfinsterte sich.
»Ist dir wieder unwohl?« erkundigte sich ihre Großmutter.
Bertrada schüttelte den Kopf. »Ich frage mich nur, warum Ihr Euch für ein Männerkloster entschieden habt«, entgegnete sie hastig.
»Familientradition«, antwortete Frau Berta. »Meine Mutter hat das Kloster Echternach gegründet. Aus dem stammten auch die ersten Mönche, die nach Prüm kamen.«
»In einem Nonnenkloster wäret Ihr Äbtissin.«
Frau Berta lachte. »Und wieviel weltliche Macht verbliebe mir dann noch?« fragte sie belustigt. »Für mein Seelenheil habe ich gesorgt, aber ich will die
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