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Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Alemannen und Aquitanier würden mit Sicherheit die Legitimation der neuen Hausmeier anzweifeln und dafür sorgen, daß sich die Brüder über das Erbe entzweiten. Diese Völker würden zumindest versuchen, die Loslösung vom Fränkischen Reich zu erzwingen. Das aber würde jede Missionstätigkeit gefährden und könnte sogar einen Rückfall in alte heidnische Sitten nach sich ziehen.
    Als der Zug in die alte, gut ausgebaute Römerstraße einbog, wandte sich der Bischof an seinen neben ihm reitenden Schreiber.
    »Bruder Stephan?«
    Der junge Mönch spitzte die Ohren und befreite augenblicklich sein Hirn von all den Gedanken, die an diesem warmen Sommermittag munter darin herumflatterten. Er würde sich solch geistigem Müßiggang nicht wieder hingeben können, denn wenn der Bischof zu ihm sprach, wurde die Schrifttafel in seinem Kopf mit dessen Worten gefüllt. Der Text durfte erst wieder gelöscht werden, wenn der junge Mönch am Abend Gelegenheit gefunden hatte, ihn sorgfältig auf Pergament zu bannen. Sein hervorragendes Gedächtnis hatte Bruder Stephan trotz seiner Jugend und ärmlichen Herkunft eine Vorrangstellung im Gefolge des Bischofs verschafft. Um diese Gedächtnisleistung noch weiter zu befördern, beschäftigte sich der junge Mönch seit kurzem auch mit der antiken Merkkunst, bei der die Worte im Kopf durch Bilder ersetzt wurden.
    »Glaubst du auch, Bruder Stephan, daß der Hausmeier Karl jetzt im Schlund der Hölle den unbarmherzigen Feuern ausgesetzt ist?« fragte Bonifatius.
    »Herr Karl war dem Bischof stets wohlgesinnt und hat die Gründung von Klöstern und die Verbreitung des Wortes Christi gefördert«, antwortete der Mönch vorsichtig.
    »Ja«, sagte Bonifatius. »Und er hat das Abendland vor den Arabern gerettet. Aber ob dies vor dem Jüngsten Gericht die Sünde aufwiegt, sich an Besitztümern der heiligen Kirche vergriffen zu haben und sündige Kirchendiener zu begünstigen?«
    »Gott ist gerecht«, entschied der Mönch.
    Und dies hätten wir den Menschen ohne Karls Hilfe nicht mitteilen können, dachte Bonifatius. Das Empfehlungsschreiben des Hausmeiers war mehr als nur Geld wert – es sorgte dafür, daß man gar nicht erst welches mit sich zu führen und somit Raubüberfälle kaum zu befürchten brauchte. Das mit dem Wachssiegel des Hausmeiers versehene Dokument sicherte dem Bischof und seinen Leuten überall ein Lager für die Nacht, Speise und Trank, Futter für die Pferde, Befreiung von Zöllen und Abgaben, Geleit durch unwegsames oder gefährliches Gebiet und jegliche sonstige Unterstützung, derer eine Reisegesellschaft bedurfte. Bonifatius sprach ein stummes Gebet für die Seele Karl Martells, wohl wissend, daß er wahrscheinlich der einzige von der römischen Kirche geweihte Bischof war, der dies tat. Von seinen Amtsbrüdern wurde der Mann, der sich am Kirchengut vergriffen hatte, regelmäßig bis ins dritte, vierte und sogar fünfte Glied verflucht.
    Der alte Mann wandte sich wieder an seinen Schreiber: »Wir werden morgen Karls ältesten Sohn treffen. Ich habe ihm folgendes mitzuteilen …«
    Bertrada hatte sich an der Haferschleimsuppe verschluckt und begann so heftig zu husten, daß ihr Tränen in die Augen schossen. Während Karlmann ihr schnell seinen Weinkelch zuschob, bemerkte Frau Berta ungerührt: »Dies ist ein Ort, an dem viele weinen, weil sie sich zu weit von ihrer Heimat entfernt haben. Trauriger Erinnerungen sollte man sich entledigen. Etwas, was jungen Menschen gewiß schwerer fällt als uns Alten. Sind die Erinnerungen an dein Heimatland denn so unglücklich?« Sie schob eine Handvoll Linsen in den Mund. Hastig griff Bertrada nach dem Kelch, während Frau Berta mit gleichbleibend freundlicher Stimme fortfuhr: »Stimmt es, liebe Flora, daß deine Leute Priester an Kirchentüren festnageln, bevor sie die Gotteshäuser zu einem Raub der Flammen machen?«
    Karlmann schlug mit der Faust auf den Tisch. Vor Schreck schüttete sich Bertrada den Wein über das feine Kleid.
    »Seht Ihr denn nicht, Frau Berta, wie erschöpft Euer Schützling ist?« fuhr er die Klosterstifterin mit funkelnden Augen an. »Und wie verzweifelt?«
    Er beugte sich zu Bertrada vor und sagte mit der sanftesten Stimme, die sie je bei einem Mann gehört hatte: »Auf solche Fragen braucht Ihr nicht zu antworten. Ihr befindet Euch in einem Haus, das demnächst dem heiligen Benedikt aus Nursia geweiht werden wird. Auch dieser entstammte einer vornehmen Familie, entfernte sich weit von seiner Heimat und

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