Die Königsmacherin
würde schon für Ordnung sorgen und nicht wie sein Vorgänger mehr auf die Gunst der Herrin von Mürlenbach als auf die des Herrn der Christenheit setzen. Frau Berta war eine fromme und scharfsinnige Person, aber nicht immer entsprach ihre Auslegung der Heiligen Schrift den Vorgaben des Heiligen Vaters.
Überhaupt war es sehr beklagenswert, daß dem Wort des Papstes im Frankenland so wenig Gehör geschenkt und so gut wie kein Gewicht verliehen wurde. Das mußte sich ändern. Er, Winfried Bonifatius, wußte sich dazu ausersehen, den Papst und die fränkischen Hausmeier zusammenzuführen, dafür zu sorgen, daß sich nach Gottes Willen endlich das weltliche Reich der Kirche unterordnete. Und nicht das Reich die Kirche für seine Zwecke nutzte, wie es der langjährige Hausmeier Karl, den man Martellus, den Hammer, nannte, so erfolgreich getan hatte. O ja, Karl war ihm gleichzeitig ein guter Freund und ein formidabler Gegner gewesen, dachte Bonifatius. Wie bescheiden und demütig er aufgetreten, wie galant und zuvorkommend er mit ihm umgegangen war! Er hatte ihm, wie auch Willibrord und anderen Benediktinern, überall freie Hand gelassen, Gottes Wort zu verbreiten und Klöster zu gründen, wohl wissend, daß gute Christen gegen ihre Herren nicht rebellierten und besser zu beherrschen waren als Heiden, die sich von der Willkür ihrer Götzen leiten ließen.
Karl hatte sich in seiner Kanzlei mit Geistlichen umgeben, die in den letzten Jahren zunehmend das weltliche Personal bei Beurkundungen ablösten, und er hatte statt neuer Referendare immer häufiger Kapellane eingesetzt. Wie oft mochte er wohl Gott um Hilfe bei der Führung eines Reiches angefleht haben, dessen König dazu außerstande gewesen war! Nach König Theuderichs Tod war der Thron verwaist, und in den Annalen notierte man jetzt: »Im fünften Jahr nach dem Tode Theuderichs …« Das war doch kein Zustand! Ein solch großes und immer größer werdendes Volk brauchte einen König. Am besten einen von Gottes Gnaden! Keinen Hausmeier zweifelhafter Herkunft, der sich ohne großes Federlesen kirchlichen Eigentums bemächtigte, wenn es galt, einen Feldzug zu finanzieren. Und der solche verweltlichten Bischöfe wie Milo förderte und sein Amt vererbte wie ein Monarch!
Ausdrücklich lehnte es Bonifatius ab, einen Boten vorauszuschicken, um seine Ankunft in Prüm zu melden. Karlmann sollte weder Zeit haben, sich auf den Besuch vorzubereiten, noch Gelegenheit, ihm aus dem Weg zu gehen. Der Erzbischof hatte mit dem jungen Mann nämlich mehr als nur ein ernstes Wort zu reden. Zu seinem Entsetzen hatte Karlmann als eine seiner ersten Amtshandlungen in verschiedenen Gebieten Klostergut enteignet. Das mußte unbedingt rückgängig gemacht werden. Hoffentlich würde sich der neue Hausmeier, der ja immerhin von Benediktinern erzogen worden war, in dieser Sache als zugänglicher erweisen als sein Vater. Bonifatius war dem ältesten Sohn Karls nur einmal vor einigen Jahren flüchtig begegnet. Er erinnerte sich an hungrige Augen, eine feurige Narbe, unruhige Hände, eine erstaunlich sanfte Stimme und daran, daß sich die Benediktiner in Echternach vor dem unberechenbaren Jähzorn des Hausmeiersohns gefürchtet hatten. Sein jüngerer Bruder Pippin schien von ausgeglichenerem Gemüt zu sein und war viel angenehmer im Umgang, wenn man von seiner Leidenschaft für das weibliche Geschlecht einmal absah. Es gab Gerüchte, daß er zur Zeit sechs Beischläferinnen beherbergte. Ob ihn wohl die Ehe mit der schönen Adligen Bertrada von solch sündigem Umgang befreit hatte?
Bonifatius nahm sich vor, gleich nach dem Besuch der Prümer Abtei nach Saint Denis weiterzureiten, sich dort Pippins Unterstützung zu sichern und sich vor allem die Gemahlin des jüngsten Karlssohns genauer anzusehen. Der Papst mochte der weiblichen Stimme wenig Gewicht beimessen, aber Bonifatius konnte sich nur zu gut daran erinnern, welch verheerenden Einfluß die Frauen der Merowingerkönige gehabt hatten. Diese schrecklichen Geschöpfe wie Chrodechilde, Fredegunde und Brunichilde waren vor keiner Hinterlist, keiner Intrige und keinem Mord zurückgeschreckt, um die Macht an sich zu reißen. In der jungen Bertrada floß das Blut der alten Frau Berta in Prüm, deren Worte es mit der Schärfe eines jeden Schwertes aufnehmen konnten und die sich von keinem Mann etwas sagen ließ. Dies könnte durchaus noch Anlaß zur Sorge geben. Wie die Lage im ganzen Land. Nach dem Tod Karls drohten Aufstände. Bayern, Sachsen,
Weitere Kostenlose Bücher