Die Königsmacherin
Das Kind, das mit Aunegildes Hilfe auf dem Waldboden zur Welt kam, starb schon nach dem ersten Atemzug.
Beim Anblick des leblosen Bündels zwischen ihren Beinen, stieß Bertrada einen Schrei aus, dessen Widerhall Frau Berta noch tagelang in den Ohren klang.
Aunegilde wollte ihr das Kind in die Arme legen, aber die Herrin hielt sie zurück.
Das darf nicht sein, sonst wird sie hinterher noch mehr leiden. Und sie wird es dann mitnehmen wollen. Das muß ich verhindern, damit ihr nicht das Schreckliche widerfährt, das mir geschehen ist. Es gibt immer noch zu viele Leute, die glauben, ein ungetauft gestorbenes Kind bringe Mensch und Vieh zu Schaden.
Frau Berta lief ein Schauer über den Rücken, wie immer, wenn sie an das Unvorstellbare dachte, das nach dem Tod ihres zweiten Kindes geschehen war. Das kleine Mädchen war wenige Stunden nach der Geburt gestorben. Sie hatte neben dem leblosen Geschöpf gelegen und war irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen. Wenig später öffnete sie die Augen – und glaubte, sich mitten im schrecklichsten Albtraum ihres Lebens zu befinden. Das Kind lag immer noch an ihrer Seite. Doch ein langer Stock stak ihm aus Kehle und After. »Wir mußten sie pfählen«, flüsterten die beiden Frauen, die ihr bei der Entbindung geholfen hatten. »Sonst hätte Euer Kind Unheil über uns alle gebracht.« Frau Berta konnte sich an die folgenden Tage nicht mehr erinnern und vermutete, daß sie sie in einer Art geistige Umnachtung zugebracht hatte.
Als sie abermals schwanger wurde, hatte sie sich mit einer einzigen engen Vertrauten zu dem verfallenen römischen Kastell in Mürlenbach aufgemacht. Dieses Kind sollte im Schutz des alten Gemäuers zur Welt kommen. Und wenn es nicht lebensfähig war, dort würdig begraben werden. So geschah es. Danach ließ sie die Burg errichten, auf der dann später ihr Sohn Charibert geboren wurde. Frau Berta wußte, daß nicht jeder auf ihrer Burg Flora wohlgesinnt war. Einige Mägde fürchteten sich vor ihr wegen ihres größeren linken Fußes und hatten schon die Vermutung geäußert, daß die junge Frau mit finsteren Mächten im Bunde stünde. Es machten Geschichten die Runde, daß sie als die heidnische Göttin Frau Holda mit ihren Luftdämonen auf einem Drachen durch den Nachthimmel ritt und die Menschen bedrohte. Dafür sprach auch ihre Gabe, in die Zukunft zu schauen. Hatte sie nicht vor allen anderen gewußt, daß der kalte Nordwind Eis mit sich führen und es in Brocken zu Boden schleudern würde? Sie hatte zwar dadurch die Wäsche des Haushalts gerettet, aber dafür war ein Teil der Ernte verhagelt worden! Ein Knecht schwor, die junge Frau in der Nacht zuvor als wilde Himmelsreiterin gesehen zu haben. Er habe ganz deutlich den großen linken Fuß erkannt. Nein, Flora konnte unmöglich mit ihrem toten Kind auf die Burg zurückkehren.
»Wo sollen wir deinen Sohn begraben?« fragte Frau Berta sanft.
Bertrada öffnete verwirrt die Augen, ehe sie wieder bewußtlos wurde. Die beiden Frauen bedeckten das tote Kind mit Zweigen, weil sie den Waldboden nicht aufbrechen konnten, der selbst im April noch zu hart gefroren war.
Karlmann traf nach einem Feldzug gegen die Sachsen genau ein Jahr später wieder in Mürlenbach ein. Mit einem Blick erkannte er, daß die Zeit nicht zugunsten seines Werbens um Bertrada gearbeitet hatte. Er erschrak, als er der geliebten Frau endlich wieder gegenüberstand. Mager war sie geworden, die Augen hatten jeglichen Glanz verloren, und ihr früher so federnder Schritt war nun bar jeder Anmut. Ihr Anblick griff ihm ans Herz und schürte seine Liebe noch mehr, als dies ihre strahlende Erscheinung getan hätte.
»Ich darf nicht mehr hoffen?« fragte er sie leise.
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, Herr Karlmann, ich bitte Euch, mich nicht mehr zu fragen.«
Er zog sich am Abend mit Frau Berta zurück, wollte von ihr wissen, warum aus dem fröhlichen jungen Mädchen eine solch ernste, ja melancholische junge Frau geworden war.
»Sie arbeitet schwer und nimmt ihre Studien sehr ernst«, beschied ihm Frau Berta kurz. Sie verlor kein weiteres Wort über Flora. Vielmehr wollte sie wissen, ob es nicht doch eine Möglichkeit für sie selbst gäbe, bei der in den nächsten Tagen stattfindenden Synode anwesend zu sein.
»Ich bin zwar nur eine Frau«, sagte sie. »Aber da Prüm, meine Abtei, nun damit ausgezeichnet wurde, die erste Kirchensynode seit achtzig Jahren abhalten zu dürfen, habe ich wohl ein Recht darauf, mir anzuhören, was in der
Weitere Kostenlose Bücher