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Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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empfunden, weil sie so erschöpft war. Neben ihrer täglichen Arbeit hatte sie nun auch noch die kranke Großmutter zu betreuen, und nachts saß sie über die Pergamente gebeugt, die ihr aus Saint Denis zugeschickt worden waren. Pater Fulrad war längst dorthin zurückgekehrt, aber er versorgte sie regelmäßig mit neuen Gesetzestexten, Berichten zu Steuerregeln und zahllosen weiteren Nachrichten, die mit der Verwaltung des Reiches zu tun hatten. Inzwischen war er sogar dazu übergegangen, ihre Meinung zu bestimmten Fragen einzuholen. Zwischen dem künftigen Abt von Saint Denis und der Gemahlin des Hausmeiers hatte sich ein reger Briefwechsel entsponnen. Doch auch wenn sie jetzt vorzüglich über das Geschehen in Pippins Machtzentrum unterrichtet war, konnte sie sich überhaupt nicht vorstellen, woanders als bei ihrer Großmutter zu leben. Die hatte Bertrada inzwischen weitere Verantwortung übertragen, und dazu gehörte auch die Abhaltung von Gerichtstagen auf der Burg. Das hatte Bonifatius ihr geraten, der es für einen Fehler hielt, einem Mann Gottes wie dem Abt auch das Urteil über etwaige Hinrichtungen zu überlassen.
    Vater Gregorius war einerseits erleichtert, daß er dieser Aufgabe in Prüm enthoben war. Andererseits fand er es doch sehr unverantwortlich, sie einer so jungen Frau anzuvertrauen. Doch die Eingaben, die er an den Hausmeier und an Pater Fulrad schickte, und seine Briefe, in denen er darum bat, einen männlichen Stellvertreter für die Gerichtsbarkeit abzustellen, blieben stets unbeantwortet. Sogar an den Vater Bertradas hatte er geschrieben. Dieser hatte geantwortet, daß er volles Vertrauen in die gesunde Urteilskraft seiner Tochter setze und im übrigen in seinem eigenen Machtbereich mehr als ausreichend ausgelastet sei. Er teile auch nicht Vater Gregorius' Befürchtung, diese offensichtliche Begünstigung einer fremden Unbekannten könne bei Uneingeweihten Verdacht erregen. Frau Berta habe ›Flora von Ungarn‹ inzwischen ganz öffentlich an Kindesstatt angenommen.
    Bevor Pippin abreiste, nahm er Bertrada das Versprechen ab, ihn sofort zu benachrichtigen, wenn sich der Zustand ihrer Großmutter verschlechtern sollte.
    »Dann wirst du auch nichts daran ändern können«, hatte sie erst abgelehnt.
    »Nein, aber ich möchte deiner Großmutter die letzte Ehre erweisen. Sie ist eine außerordentliche Frau, und ich bin froh, daß du ihr gleichst.«
    Er beugte sich vor, küßte sie rasch auf die Wange und sprang dann auf sein Pferd, ehe sie etwas erwidern konnte. Sie sah ihm nach, bis er mit seinem kleinen Gefolge zwischen den Bäumen verschwunden war.
    Zwei Nächte später wachte sie plötzlich schweißgebadet auf. Sie konnte sich nicht mehr an Einzelheiten ihres Traumgesichtes erinnern, nur noch daran, daß sie durch eine Nebelwand den Tod geschaut hatte. Er saß auf einem Pferd und ritt dorthin, wo die Sonne unterging. Kam denn der Tod aus dem Osten? Voller Unruhe erhob sie sich im Dunkel von ihrem Lager und tastete sich zum Bett ihrer Großmutter vor. Frau Berta atmete rasselnd, aber das tat sie schon seit Tagen. Ihre Stirn war so kühl und trocken wie auch am Abend zuvor, und nichts wies daraufhin, daß es ihr schlechter ging.
    Bertrada warf sich eine Tunika über, griff nach ihrem Umhang und trat barfuß hinaus auf den Flur. Die kleine Fackel im eisernen Halter flackerte und warf tanzende Schatten an die Wand. Bertrada versuchte, den bösen Traum aus ihrem Geist zu verscheuchen. Ja, der Tod könnte aus dem Osten kommen, von dort, wo so viele wilde Völker hausten. Aber sie hatte nicht davon geträumt, woher er kam, sondern davon, wohin er ging. Nach Westen, in die Richtung, die auch Pippin eingeschlagen hatte. Ein Schauer durchfuhr sie: Ist der Tod etwa hinter dem Hausmeier her? Will ich das wirklich? Nein, ich wünsche ihm schon lange nicht mehr den Tod.
    Bertrada stieg vorsichtig über die schlafende Magd vor der Tür und schlich die Treppe zum Pferdestall hinunter, aus dem lautes Schnarchen drang. Sie trat aus dem Bergfried auf den Burghof und blickte nach oben. Dunkle Wolkenfetzen jagten über den mondhellen Himmel, und einen Augenblick lang glaubte sie, in einem Gebilde ebenfalls die Umrisse des finsteren Reiters aus ihrem Traum zu erkennen. Aber es löste sich schnell auf und wurde von einem der hochragenden Türme des Felsennests zerschnitten.
    Nein, ich möchte nicht, daß der Tod Pippin einholt. Sie erschauerte leicht, als sie an die Gefahren seiner Reise dachte, an seine vielen

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