Die Königsmacherin
Feinde, denen es ein leichtes wäre, dem Hausmeier im Hinterhalt der Wälder aufzulauern. Sie trat wieder in den Bergfried, nahm ein Talglicht vom Sims und entzündete es an der kleinen Fackel, die den Eingang beleuchtete. Sie rümpfte leicht die Nase. In den bewohnten Gemächern mied man aus gutem Grund Lichter aus Rindertalg. Vorsichtig, um nicht zu stolpern und womöglich das Stroh auf dem Boden in Brand zu setzen, näherte sie sich ihrem Pferd. Es steht in meiner Macht. Ich werde ihn warnen. Sie strich ihrem Fuchs über die Flanken und überlegte, ob sie ihn unbemerkt aus dem Stall führen könnte. Die Knechte schienen tief zu schlafen.
Mit dem Talglicht in der Hand schlich sie in die Ecke, in der sie die dunklen Umrisse eines großen Körpers ausmachen konnte. Es dauerte einen Augenblick, ehe sie im schwachen Lichtschein Arme und Beine zuordnen konnte und begriff, daß hier zwei Menschen nackt ineinander verschlungen lagen. Wie angewurzelt blieb Bertrada stehen und musterte das Gesicht der Küchenmagd, das selbst noch im Schlaf wonnetrunken wirkte. Die Köpfe lagen nahe beieinander. Ein Arm des Knechts umrahmte den Kopf der Magd, mit dem anderen hatte er sie umarmt, daß die Hand auf ihrer Brust ruhte. Ihr rechtes Bein lag unter seinem Körper und das andere schmiegte sich so angewinkelt über sein rechtes Bein, daß Bertrada aus ihrem Blickwinkel fast sehen konnte, wie das Geschlecht des Mannes die Scham des Mädchens berührte. Still lag das Paar in inniger Umarmung auf dem Stroh. Es war ein Bild des Friedens. Plötzlich begann sich der Mann zu regen. Seine Hand glitt am Körper der Frau hinunter, bis sie an der Rundung des verlängerten Rückens haltmachte. Bertrada sah, wie sein Geschlecht anschwoll. Hastig blies sie das Talglicht aus und wich tief in den Schatten zurück. Später würde sie sich vor sich selbst damit rechtfertigen, daß sie nur deshalb den Stall nicht verlassen hatte, weil sie das Paar nicht hatte aufschrecken wollen. Doch tief in ihrem Inneren wußte sie, daß sie sich gar nicht vom Fleck hätte bewegen können. Zu sehr war sie von dem Geschehen in der Ecke gefesselt und seltsam berührt, daß ein Akt, den sie bisher immer der Gewalt zugeordnet hatte, einer solch friedvollen Stimmung entspringen konnte. Vergessen war das Traumgesicht des Todes. Bestrickt lauschte sie den Geräuschen, die jetzt aus der Ecke kamen. Sie beobachtete, wie sich der dunkle Fleck teilte, ehe er mit einem Aufstöhnen aus zwei Kehlen wieder zu einem verschmolz. Das Pferd neben ihr schnaubte laut, und sie schrak zusammen, während das Paar in der Ecke dem keine Beachtung schenkte.
Als sich wenig später das erste fahle Morgenlicht durch die offene Tür in den Stall stahl, hatte sich Bertrada immer noch nicht von der Stelle gerührt. Die Schemen des wieder gleichmäßig atmenden Paares hoben sich jetzt deutlicher vom Stroh ab. Die Frau lag immer noch dicht an den Mann geschmiegt, hatte ihm aber inzwischen den Rücken zugewandt. Seine Hand wölbte sich um ihre Brüste, und das Gesicht hatte er in ihrem Nacken vergraben.
Bertrada gab sich einen Ruck. Was tat sie hier? Sie wandte sich um und erklomm schweren Schrittes die Treppe zum Gemach ihrer Großmutter. Als sie über die schlafende Magd gestiegen war und die Tür aufgestoßen hatte, fiel es ihr wieder ein. Ich muß wahrlich verrückt gewesen sein! dachte sie. Welch ein Gedanke, mitten in der Nacht fortreiten zu wollen, um Pippin zu warnen! Er hätte mich bestimmt ausgelacht! Meine Großmutter kann jeden Tag sterben, da ist es doch nicht seltsam, daß ich im Schlaf den Schnitter auf seinem Roß gesehen habe.
Sie schüttelte die finsteren Gedanken ab, überzeugte sich davon, daß die Großmutter noch schlief, zog die Tunika aus und legte sich auch wieder auf ihr Lager am Fenster. Ihr war kalt, und sie zog die Decke bis ans Kinn. Bevor sie einschlief, dachte sie daran, wie angenehm sich Pippins Arm um ihre Schultern angefühlt und wie sein Körper damals im Gastraum der Abtei sie sogar ohne jegliche Berührung gewärmt hatte: Ja, sie wollte ihm jetzt nahe sein.
Als sie fünf Tage später den Küchengarten verließ, blickte sie von der Anhöhe hinab und erschrak. Ein dunkelgekleideter Zug näherte sich der Burg, und selbst aus der Entfernung war die Tragbahre auf einem der Pferde zu erkennen.
Bertrada lief in den Stall. Sie wartete nicht darauf, daß ihr Pferd reitfertig gemacht wurde, sondern band es los, sprang auf den bloßen Rücken des Tieres und hielt sich
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