Die Königsmacherin
Hausmeiers und die Erbauerin der neuen Abtei, erfreute sich Bertrada im Eifelgau größter Achtung. Die Kunde von ihren weisen Entscheidungen bei Gerichtsprozessen sorgte dafür, daß immer häufiger Hilfesuchende bei ihr anklopften. Darunter befanden sich überraschend viele Frauen, denen Ehebruch, Veruntreuung oder andere schwere Vergehen zur Last gelegt wurden. Wie schon Frau Berta bei Aunegilde, gelang es auch Bertrada, manches Todesurteil zu verhindern und sich eine dankbare Arbeitskraft zu sichern. Und sie entdeckte ihre Begabung, Streitende miteinander zu versöhnen.
»Es ist wichtig, dem Ankläger Gelegenheit zu geben, sich ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen«, setzte sie Pippin auseinander. »Du glaubst ja gar nicht, welch fürchterliche Folgen gekränkte Eitelkeit haben kann! Nimm zum Beispiel Ehebruch. Wenn der Mann die Frau bei der Tat ertappt, macht er meistens von dem Recht Gebrauch, Frau und Nebenbuhler zu töten. Dann gibt es nichts mehr zu richten. Wenn mir aber ein Fall vorgelegt wird, ist die Frau üblicherweise durch Verdächtigungen oder Verleumdungen schon so gut wie verurteilt. Selbst bei einem Freispruch bleibt der Mann in seiner Ehre gekränkt und sinnt auf Rache. Aber wer kann schließlich beweisen, daß er sie umgebracht hat, wenn ihre Leiche später aus der Kyll oder aus der Prüm gezogen wird? Also sorge ich oft dafür, daß es gar nicht erst zu einer öffentlichen Verhandlung kommt. Ich lade die Eheleute auf die Burg oder ins Gutshaus ein.«
»Warum denn das? Um den Mann zu überzeugen, seine Klage zurückzuziehen?«
Bertrada lachte. »Das ist selten erforderlich. Eine Einladung bei mir ist der Ehre des Mannes viel zuträglicher als das Gerücht über einen Ehebruch seiner Frau ihr abträglich sein könnte.«
»Und was ist mit den Männern, denen daran gelegen ist, ihre Frau loszuwerden?«
Bertradas Gesicht verdunkelte sich. »Das gibt es natürlich auch. Diesen Frauen gebe ich Arbeit.«
Sie hatte neben ihrer Prümer Villa auf dem Hang ein weiteres Genitium errichten lassen, wo inzwischen fast siebzig Frauen wirkten. Tuch aus Prüm war im ganzen Frankenland zu einem hochbegehrten Artikel geworden.
Der kleine Karl entwickelte sich zu einem kräftigen Kerlchen. Er war noch keine drei Jahre alt und konnte sich bereits auf dem stämmigen Rößlein halten, das ihm sein Vater geschickt hatte. »Es stammt aus dem Land der Awaren, ist zäh und geduldig«, hatte Pippin dazu geschrieben. Karl ging schon recht geschickt mit seinem Kinderschwert um, aber es bereitete Bertrada Sorgen, daß er immer noch nicht sprach. Auch die Bediensteten gaben sich viel Mühe, ihm Laute zu entlocken, doch Karl schwieg beharrlich. Sein Gehör war gesund, und da er Aufforderungen Folge leistete, verstand er offensichtlich den Sinn der Worte, doch selbst benutzte er sie nie. Bertrada ließ Kinder kommen, die auf der Burg mit Karl spielten, aber er als einziger beteiligte sich nicht an dem munteren Geplapper. Stundenlang saß sie mit ihrem Sohn zusammen, wies auf Gegenstände und bat ihn, sie zu benennen, doch er machte den Mund nicht auf. Sie dachte, daß ihm eine Veränderung guttun würde, und reiste mit ihm nach Saint Denis, wo Pater Fulrad endlich zum neuen Abt geweiht worden war und Pippin sich mit seinem treuen Ratgeber über die weiteren Schritte des geheimsten aller Pläne beriet.
Mit ihrem Sohn an der Hand betrat Bertrada das Arbeitszimmer ihres ehemaligen Lehrers, begrüßte ihn herzlich und beglückwünschte ihn zu seinem neuen Amt.
Pater Fulrad bot ihr einen Platz an und ließ Karl in einer Ecke des dunklen Zimmers auf einem Wachstäfelchen herumkritzeln.
»Bei welcher Lektüre habe ich Euch soeben gestört?« eröffnete Bertrada leutselig das Gespräch.
Der Abt blickte lächelnd zu seinem Pult hinüber. »Da liegen die Werke des heiligen Augustinus und Isidors von Sevilla sowie die Schrift Eures Oheims Childebrand. Gleichzeitig arbeite ich an den Annales regni Francorum. All dies soll uns helfen, Euren Gemahl zum König zu erheben. Ach, Gott schütze meine armen Augen!«
»Amen«, bekräftige Bertrada und fragte: »Wie weit sind denn Eure Bemühungen gediehen?«
Pater Fulrad musterte sie mit seinem Habichtsblick und lächelte. »Weit, Frau Bertrada, sehr weit. Es ist nur noch eine Frage des Preises.« Er wußte, daß er mit der Frau des Hausmeiers offen sprechen konnte, und er tat es gern. Weniger, weil Bertrada für eine weltliche Frau viel Wissen in ihrem Kopf angesammelt hatte. In dieser
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