Die Königsmacherin
Hinsicht kamen ihr die geschulten Mönche seiner Abtei gleich. Doch es gab noch etwas anderes, was ihn an ihr fesselte, als nur die Klarheit und Gradlinigkeit ihrer Gedanken. Gott hatte sie mit einem fast untrüglichen Gespür für weise Vorausschau ausgestattet. Sie hatte manche Entwicklung sehr treffend vorhergesehen, schien jedoch seltsamerweise selbst nicht zu begreifen, welche Gabe ihr da verliehen worden war. Ihre Ahnungen bezeichnete sie selbst als Zufälligkeiten, und sie gab sich große Mühe, stets vernünftige Gründe dafür anzuführen und alles in einen logischen Zusammenhang einzuordnen. Pater Fulrad hatte mehr als einmal erlebt, daß sie ihm einen Vorschlag von bestrickender Einfachheit unterbreitete und nebenbei damit auch noch die Lösung für ein Rätsel anbot, mit dem er sich monatelang herumgeschlagen hatte. Vielleicht fiel ihr ja auch jetzt etwas dazu ein, wie sich bestimmte schwierige Klippen umschiffen ließen.
»Die Langobarden drohen, Rom zu überfallen. Der Papst ist bereit, Euren Gemahl vom Treueid gegenüber Childerich zu entbinden und ihn zum König zu weihen, wenn ihm fränkische Truppen beistehen.«
»Und warum sollte Pippin den Heiligen Stuhl nicht verteidigen?« fragte Bertrada verwundert.
»Aus zwei Gründen«, erwiderte Fulrad. »Erstens war er selbst Adoptivsohn des Langobardenkönigs Liutprand und müßte gegen seine eigenen Brüder zu Felde ziehen …«
Bertrada hob die Augenbrauen und verzog die Mundwinkel, als wollte sie sagen, daß dies für Pippin nun nicht gerade hinderlich sei. »… und zweitens will der Heilige Vater mehr«, fuhr Fulrad fort. »Er verlangt, daß ihm die Langobarden das Land zurückgeben, das sie ihm geraubt haben. Pippin soll für ihn in den Krieg ziehen – aber wird ihm der fränkische Adel folgen, wenn er erfährt, weshalb? Damit einem der Ihren die Königskrone aufgesetzt wird? Wohl kaum, denn daran hätte wohl jeder selbst Interesse. Und manch einer hätte auf Grund seiner Abstammung, ehrlich gesagt, ein größeres Anrecht darauf. Der Papst hingegen ist bereit, Pippin nicht nur zum König zu weihen, sondern …«, der Abt blickte kurz zu Karl hinüber, »… ausdrücklich zu verkünden, daß das Königtum ausschließlich ihm und Euren Nachfahren zukommt. Damit wäre ein für allemal die Rivalität in der eigenen Familie beseitigt. Und andere Fürsten könnten keine Ansprüche mehr geltend machen.«
»Welche Ländereien will der Papst denn haben?« fragte Bertrada zurück, während sie unwillkürlich die Hand auf ihren Bauch legte, in dem gerade ein neues Leben heranreifte.
Fulrad vermied es, sie anzusehen. »Die Stadt Rom, alle Provinzen, Bezirke und Städte Italiens und die der westlichen Regionen«, erklärte er leise.
Bertrada starrte ihn verblüfft an.
»Meines Wissens hat dieses Land nie dem Papst, sondern Ostrom gehört«, sagte sie schließlich. »Mit welchem Recht sollte mein Gemahl es also für ihn erobern? Woraus leitet der Heilige Vater seinen Anspruch ab?«
Fulrad hob die Schultern. »Darin liegt die Schwierigkeit. Als ich dies unserem Gesandten sagte, der gerade aus Rom zurückgekehrt ist, meinte er, Papst Zacharias habe sich auf eine Schenkung des Kaisers Konstantin berufen. Dieser soll dem Bischof von Rom nämlich die Herrschaft über all diese Länder verliehen haben, als er nach Osten ging. Aus Dank dafür, daß er vom Aussatz geheilt und danach getauft wurde. Vielleicht war es auch andersherum.«
»Wann war denn das?« fragte Bertrada erstaunt.
»Vor mehr als vierhundert Jahren. Aber es ist leider keine Urkunde erhalten, auf die der Heilige Vater seinen Anspruch stützen könnte.«
Bertrada dachte an all die wichtigen Pergamente, die in der Feuersbrunst der Prümer Abtei von den Flammen verzehrt worden waren.
»Vielleicht sind die Urkunden ja irgendwann verbrannt?« Sie sah zu ihrem Sohn hinüber, der immer noch emsig irgend etwas in das Wachs seines Täfelchens hineinstichelte. Gemahlin und Mutter von Königen. Vielleicht mußte man mancher Prophezeiung eben etwas nachhelfen.
»Worte«, sagte sie, »kann man immer wieder niederschreiben. Und die Siegel sind ja wohl noch stets die gleichen wie vor vierhundert Jahren. Und wenn nicht, kann man sicher neue herstellen. Ihr kennt meinen Gemahl so gut wie ich, ehrwürdiger Vater. Pippin hat schon zu lange darunter gelitten, daß die Rechtmäßigkeit seines Amtes als Hausmeier immer wieder von allen Seiten angezweifelt wird. Dabei hält er die Macht wirklich in
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