Die Kolonie
was ihr Geist dann aus Rache getan hat.
Niemand sieht sie die Treppe herunterkommen. Niemand hört sie über den Teppich im oberen Foyer gehen. Niemand blickt auf, bis sie sagt: »Ihr habt was zu essen?«
Es ist Genossin Snarky. In ihrem Phantasiekostüm aus diversen Ballkleidern. Schärpen und Perücken. Sie steht am breiten Fuß der Foyertreppe, die blauweißen Hände in den Falten ihres Rocks. Sie folgt ihren Augen in den Raum hinein, ihre Augen und ihre Nasen ziehen sie vorwärts. »Was habt ihr gekocht?« Sie sagt: »Ich will auch...«
Keiner sagt ein Wort. Wir haben alle den Mund voll. Pulen uns Fleischreste aus den Zähnen.
Genossin Snarky erblickt den dampfenden Pappteller auf dem Tresen der Snackbar.
Niemand denkt daran, sie aufzuhalten.
Genossin Snarky taumelt durchs blaue Foyer, stürzt über ihre langen Röcke auf den rosa Marmorboden, greift nach dem Tresen und zieht sich daran hoch. Als sie wieder steht, sinkt ihr Gesicht, sinken ihre Perücken auf den Fleischteller.
Hinter ihr auf dem blauen Treppenteppich sieht man ihre Fußabdrücke in Blut.
Unser Hausgespenst.
Wir sehen nur ihren grauen Perückenturm über dem Pappteller auf dem Marmortresen auf und nieder gehen. Hinten auf ihrem Kleid blühte eine riesige und immer noch wachsende rote Blüte. Dann schwingen die Perücken hoch, und wir sehen den leeren Teller. Genossin Snarky hat noch ein letztes Stückchen Fleisch in der blauweißen Hand. Sie leckt sich die Lippen und sagt: »Gott, ist das zäh. Und bitter.«
Irgendwer muss was sagen. Aus ... Höflichkeit.
Der dünne Sankt Prolaps sagt: »Ich esse normalerweise kein Fleisch, aber das hier war ... einfach köstlich.« Und blickt in die Runde.
Der Killerkoch hebt das Stoppschild einer fettigen Hand. Er schließt die Augen und sagt: »Ich warne dich ... keine Kritik an meinen Kochkünsten.«
Wir anderen nicken zustimmend. Köstlich. Wir alle haben unsere Teller leer gegessen. Wir schlucken noch, wir kauen noch. Fahren uns mit der Zunge über die Zähne, um die letzten Tropfen Öl abzulutschen. Die letzten Tropfen Fett.
Genossin Snarky geht zu den Gobelinsofas im Zentrum des Foyers unterm starren Glitzern des größten Kristallkronleuchters. Ihre Hand nimmt ein blaues Samtkissen, von dessen vier Ecken goldene Quasten hängen, und legt es auf die Seite. Sie kickt ihre Schuhe weg. Rote Flecken auf ihren weißen Strümpfen. Sie lässt sich auf dem Sofa nieder, legt sich hin, den Kopf auf das Kissen. Und zuckt zusammen. Ihr Gesicht verzerrt sich zu einer Maske aus Schmerz, entspannt sich aber wieder. Sie greift unter sich, betastet sich unter ihren feuchten Röcken und Petticoats. Sie beugt sich vor, als wolle sie aufstehen, und ihr Blick fallt auf die blutigen Fußspuren, die ihr von der Treppe über den blauen Teppich zur Snackbar und weiter zum Sofa gefolgt sind.
Wir alle sehen das Blut, das aus ihren Schuhen läuft.
Genossin Snarky kaut noch, ihr Kiefer malmt und malmt, eine Kuh beim Wiederkäuen. Sie starrt uns an.
Versucht, diese Szene zu verdauen.
Als sie die Hand unter sich hervorzieht, hält sie darin das Ausbeinmesser des Killerkochs. Die blutverschmierte Klinge.
Der Killerkoch kommt, hinter der Snackbar hervor. Er streckt ihr eine offene Hand entgegen, wedelt mit den fettigen Fingern und sagt: »Das nehme ich. Das gehört mir.«
Und Genossin Snarky hört zu kauen auf. Und schluckt.
»Ich ...«, sagt sie.
Genossin Snarky sieht das Messer an, dann das Stück Fleisch in ihrer Hand.
Auf dem Fleisch ist ein Rosentattoo, das sie noch nie gesehen hat. Außer vielleicht im Spiegel. Nur dass es jetzt leicht gebräunt ist.
Graf Schandmauls Gesicht verschwindet, als er seinen Teller ableckt.
Genossin Snarky sagt:
»Ich war nur ohnmächtig...«
Sie sagt:
»Ich war ohnmächtig... und ihr habt meinen Arsch gegessen?«
Sie sieht den leeren Pappteller auf der Snackbar an und sagt: »Ihr habt mir meinen eigenen Arsch zu essen gegeben?« Mutter Natur rülpst hinter ihrer Hand und sagt: »Verzeihung.«
Der Killerkoch streckt immer noch die Hand nach dem Messer aus; unter einem Daumennagel ein schmaler roter Halbkreis. Er blickt nach oben und sieht im staubigen Kristall des Kronleuchters tausend mal tausend winzige Spiegelbilder der Genossin Snarky. Die tausend mal tausend in der Mikrowelle zubereiteten Rosen in ihren ebenso vielen Händen.
Gräfin Weitblick wendet sich, behält aber weiter ihre eigene, kleinere Version dieser Wirklichkeit im Blick, eine film- oder fernsehgroße
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