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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Version von Genossin Snarky, die im breiten Spiegel hinter der Snackbar zu sehen ist.
    Wir alle sehen unsere eigene Version von Genossin Snarky. Alle haben wir unsere eigene Geschichte. Alle sind wir uns sicher, dass unsere jeweils eigene Version die wahre ist.
    Schwester Vigilante sieht auf ihre Armbanduhr und sagt: »Esst auf. Nur noch eine Stunde, bis das Licht ausgemacht wird.«
    Die tausend kleineren Versionen von Genossin Snarky schlucken heftig. Ihre blauweißen Wangen wölben sich. Ihre Kehlen ziehen sich zu, würgen am bitteren Geschmack ihrer eigenen Haut.
    Jeder von uns verwandelt seine Wirklichkeit in eine Geschichte. Verdaut sie, um ein Buch daraus zu machen. Was wir mit eigenen Augen sehen, wird schon zu einem Drehbuch.
    Zu unserem Mythos.
    Und wie aufs Stichwort gleitet die leibhaftige Genossin Snarky vom Sofa auf den Fußboden. Ihre noch halb offenen Augen starren den Kronleuchter an. In einem Haufen aus Samt und Brokat liegt sie auf dem rosa Marmor. Jetzt stirbt sie wirklich. In einer Hand noch immer das Ausbeinmesser. In der anderen Hand noch immer den Fleischfetzen ihres gebratenen Arsches.
    Ein großer dunkelroter Fleck auf dem Gobelinsofa, wo sie gesessen hat. Der Abdruck ihres Kopfs auf dem blauen Samtkissen. Genossin Snarky wird nicht die Kamera hinter der Kamera hinter der Kamera sein. Die Wahrheit über Genossin Snarky liegt in unseren Händen. Klemmt zwischen unseren Zähnen.
    Nur noch flüsternd sagt Genossin Snarky: »Ich glaube .. ich habe das ...«
    Und als Graf Schandmaul das Band zurückgespult hat, hört man ihre Stimme noch einmal: »... habe das verdient... das verdient...«

Vorahnung
Ein Gedicht über Genossin Snarky
    »Ich habe meine Jungfernschaft«, sagt Genossin Snarky, »durchs
    Ohr verloren.« '
    So jung, dass sie noch an den Weihnachtsmann glaubte.

    Genossin Snarky auf der Bühne, die Fäuste in die Hüften gestemmt,
    die Arme gewinkelt,
    Lederflicken auf den Ellbogen.
    Breitbeinig steht sie da, die Füße in Schnürstiefeln mit Stahlkappen,
    die Beine in weiten, über den Knöcheln zugebundenen
    Tarnhosen.
    Sie beugt sich so weit nach vorn, dass ihr Kinn einen Schatten
    auf ihre olivgrüne Armeejacke wirft.

    Auf der Bühne, statt eines Scheinwerfers, ein Filmausschnitt:
    gezeigt werden Demonstranten mit Transparenten, Streikposten,
    megaphonweit aufgerissene Münder zum Brüllen.
    Nur Zähne, keine Lippen.
    Sie reißen so verkrampft den Mund auf,
    dass es ihnen die Augen zupresst.

    »Nachdem der Richter gemeinsames Sorgerecht verfügt hat«,
    sagt Genossin Snarky, »hat meine Mutter mir gesagt...«
    Sollte jemals in tiefer Nacht,
    wenn dein Kopf auf dem Kissen ruht und du schläfst,
    dein Vater zu dir ins Zimmer geschlichen kommen:
    Dann erzählst du mir das.
    Ihre Mutter sagte: »Sollte dein Vater jemals in deine Schlafanzughose
    greifen und dich anfassen ...«
    Dann erzählst du mir das.
    Sollte er jemals aus dem Reißverschluss seiner Hose eine dicke,
    schwere Schlange ziehen - dieses heiße, klebrige, übel riechende Ding-
    und versuchen, es dir in den Mund zu stecken ...
    Dann erzählst du mir das.

    »Stattdessen«, sagt Genossin Snarky, »ging mein Vater nur mit mir
    in den Zoo.«
    Er ging mit ihr ins Ballett. Er ging mit ihr zum Fußballtraining.
    Er gab ihr einen Gutenachtkuss.

    Die Farben von Sitzstreiks, die Formen von bürgerlichem
    Ungehorsam, das alles marschiert
    und marschiert und marschiert
    über ihr Gesicht.
    Genossin Snarky sagt:
    »Aber seitdem bin ich allzeit bereit gewesen.«

Bitter sprechen
Eine Erzählung von Genossin Snarky
    Wir haben es ihm von Anfang an zu erklären versucht ...
    Männer haben bei uns keinen Zutritt. Hier sind nur Frauen zugelassen. Ziel unserer Gruppe ist es, Frauen das Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln. Hier können Frauen offen sprechen, ohne kritisiert zu werden. Männer müssen wir ausschließen, weil Frauen in ihrer Gegenwart gehemmt sind. Frauen fühlen sich von männlicher Energie eingeschüchtert und gedemütigt. Für Männer ist eine Frau entweder eine Jungfrau oder eine Schlampe. Eine Mutter oder eine Hure.
    Als wir ihn zu gehen bitten, stellt er sich natürlich dumm. Er sagt, wir sollen ihn »Miranda« nennen.
    Wir respektieren seine Entscheidung. Die Mühe, die er in die Verwirklichung seines Wunschs investiert hat, körperlich als Frau zu erscheinen. Aber dieses Haus, erklären wir ihm freundlich und einfühlsam, dieses Haus ist nur für Frauen gedacht, die als Frauen geboren wurden.
    Er sei als Miranda

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