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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Joyce Williams geboren worden. Als er das sagt, lässt er sein rosa Handtäschchen aus Eidechsenleder aufschnappen und nimmt einen Führerschein heraus. Mit einem langen rosa Fingernagel schiebt er den Führerschein über den Tisch und tippt auf die Stelle, wo unter »Geschlecht« der Buchstabe W zu sehen ist.
    Der Staat mag sein neues Geschlecht ja anerkennen, erklären wir ihm, wir jedoch tun das nicht. Viele von uns sind als Kind von Männern traumatisiert worden. Sie fürchten, auf ihren Körper reduziert zu werden. Als Objekte missbraucht zu werden. Das sind Dinge, die er als geborener Mann nie verstehen könne.
    Er sagt: Ich wurde als Frau geboren.
    Eine aus der Gruppe sagt: »Kannst du uns deine Geburtsurkunde zeigen?«
    »Miranda« sagt: Nein, natürlich nicht.
    Eine andere sagt: »Menstruierst du?«
    Und »Miranda« sagt: Zurzeit gerade nicht.
    Er spielt mit einem regenbogenfarbenen Tuch um seinen Hals, zupft und dreht daran herum. Eine Karikatur nervösen weiblichen Verhaltens. Er spielt mit dem schillernden Tuch auf seinen Schultern, schiebt es weit nach hinten, bis es ihm über die Ellbogen hängt. Er streicht mit den Fingern durch die langen Fransen. Er zieht das Tuch ein wenig nach links, dann nach rechts. Er schlägt die Beine übereinander. Stellt sie um. Er nimmt die Pelzjacke von seinem Schoß und legt sie zusammen. Streichelt den Pelz mit einer Hand, die Fingernägel rosa lackiert und funkelnd wie Edelsteine.
    Lippen, Schuhe und Handtasche, Fingernägel und Uhrarmband: alles hübsch rosa wie das Arschloch einer Rothaarigen.
    Eine aus der Gruppe steht auf und sagt mit wütendem Blick: »Was soll der ganze Mist?« Sie stopft ihr Strickzeug und eine Wasserflasche in ihre Einkaufstasche und sagt: »Ich freu mich die ganze Woche auf diesen Tag. Und jetzt ist mir alles verdorben.«
    »Miranda« bleibt einfach sitzen. Seine von langen dichten Wimpern verhangenen Augen schwimmen in blaugrünem Lidschatten. Er tönt seinen Lippenstift mit Lippenstift. Sein Rouge mit Rouge. Sein Mascara mit Mascara. Er trägt eine bauchfreie Bluse aus rosa Seide, die ihm von den Spitzen seiner Brustwarzen zu hängen scheint; die Brüste jeweils etwa so groß wie sein Gesicht, Ballons, die von seinem Oberkörper abstehen. Und sein Bauch, stramm und gebräunt, ist ein männlicher Bauch. Er ist eine Sexpuppe, ein einziges Phantasiegebilde, eine Frau, wie nur ein Mann sie werden kann.
    In einer Gesprächsgruppe, sagt »Miranda«, hätte er schon ein wenig mehr Gespräch erwartet.
    Wir sehen ihn nur an.
    Albern. »Miranda«. Eine zum Leben erweckte Männerphantasie, eine Art Monster, von Frankenstein aus Klischees zusammengesetzt: die perfekten, großen runden Brüste. Die festen, langen Oberschenkel. Der perfekte, von Lippenstift glänzende Schmollmund. Der rosa Lederrock, so kurz und eng, dass er nur zum Sex zu gebrauchen ist. Die Stimme, wie die eines kleines Mädchens oder eines Filmsternchens: viel Luft und wenig Klang. Das gehauchte Flüstern, wie Cosmopolitan es den jungen Frauen empfiehlt, damit die Männer sich zum Hören näher heranbeugen.
    Wir sitzen nur da, keine sagt etwas, keine teilt sich mit. Man kann einfach nicht ehrlich sein, wenn man weiß, dass sich unter dem Tisch ein Penis befindet. Nicht mal in Gegenwart all dieser Poster von Frida Kahlo und Georgia O'Keeffe ... und dieser Apfel-Zimt-Kerzen... und der bunten Hauskatze.
    Okay, sagt »Miranda«, dann fange ich eben an.
    »Mirandas« Frisur sieht aus wie frisch aus dem Schönheitssalon, die Haare blond gebleicht, hoch aufgetürmt, steif von Spray und zusätzlich von Klammern gehalten.
    »Miranda« erzählt von einem Arbeitskollegen, in den sie sich wahnsinnig verknallt hat. Aber der will nicht flirten. Dabei ist er total süß, dieser junge Vertriebsleiter, trägt die Haare glatt zurückgekämmt und fährt einen Porsche. Er ist verheiratet, aber »Miranda« weiß, der junge Mann hat animalisches Interesse an Sex. Einmal nach der Arbeit, sagt »Miranda«, hat er seine Hand auf -
    Und wir alle starren ihn nur an.
    Er hat seine Hand auf »Mirandas« Arm gelegt und gefragt, ob sie noch irgendwo was trinken gehen könnten.
    »Mirandas« Arme sind schlank, gebräunte Muskeln ohne ein Gramm Fett. Glatt wie Plastik. Er kichert. »Miranda« kichert. Verdreht die Augen zur Decke.
    »Miranda« sagt, dieser Vertriebsleiter sei mit ihm zu einer echt finsteren Bar gefahren, so ein Lokal, wo man hingeht, wenn man-
    Das ist alles so typisch Mann, dieses ewige

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