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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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einsamen Insel würden wir vollkommen in Sicherheit sein.
    Vor Sonnenaufgang, an diesem herrlichen neuen Tag, den wir nie erleben werden.
    So hatte man es uns versprochen. Vielleicht zu viel Sicherheit.
    Jedenfalls haben wir deshalb nichts mitgenommen, was uns retten könnte.
    Wir fuhren weiter, um noch eine Ecke, noch ein Stück Schnellstraße, dann eine Ausfahrt hinunter, bis Mr. Whittier sagte: »Hier abbiegen.« Er packte das Chromgestell seines Rollstuhls und zeigte mit einem dicken, stechenden Finger. Die Haut welk und verschrumpelt, der Fingernagel knochengelb.
    Genossin Snarky rümpfte die Nase und schnüffelte. Sie sagte: »Muss ich die nächsten zwölf Wochen wirklich mit diesem Patschuligestank leben?«
    Miss Rotz hustete in ihre Faust.
    Und Sankt Prolaps steuerte den Bus in eine enge finstere Gasse. Die Hauswände so nah, dass die braune Tabakspucke des Kupplers von ihnen zurückprallte und auf seine Latzhose spritzte. Mauern so nah, dass Missing Links behaarter Ellbogen, den er auf der Kante des offenen Fensters liegen hatte, vom Beton geschmirgelt wurde.
    Bis der Bus endlich hält. Die Tür klappt auf, und dahinter erscheint eine andere Tür - eine Stahltür in einer Betonwand. Die Gasse so eng, dass man kaum etwas davon sieht. Mrs. Clark gleitet von ihrem Sitz, steigt die Treppe runter und reißt mit einem Ruck ein Vorhängeschloss auf.
    Dann ist sie weg, drinnen, und die Bustür öffnet sich ins pure Nichts. Alles schwarz. Die Öffnung gerade breit genug, dass man sich durchquetschen kann. Aus dem Innern dringt der nadelspitze Geruch von Mäuse-Urin. Dazu der Geruch, der einen beim Aufschlagen eines alten, feuchten, von Silberfischen halb zerfressenen Buches anweht. Dazu der Geruch von Staub.
    Und aus dem Dunkeln sagt Mrs. Clarks Stimme: »Beeilt euch, kommt rein.«
    Sankt Prolaps kommt nach, wenn er den Bus irgendwo abgestellt hat, wo die Polizei ihn finden kann.
    Spuren verwischen. Ein paar Straßen weiter, vielleicht ein paar Meilen weiter. Von da, wo sie ihn finden, fuhrt kein Weg zu dieser Stahltür in Beton und Finsternis. Zu unserer neuen Behausung. Unserer einsamen Insel.
    Noch stecken wir alle zwischen Bus und pechschwarzer Dunkelheit. Es sind unsere letzten Sekunden draußen, und Agent Plaudertasche sagte: »Lächeln.«
    Was Mr. Whittier die Kamera hinter der Kamera hinter der Kamera nennen würde.
    In diesen ersten Sekunden unseres neuen, geheimen Lebens trifft uns der Scheinwerfer so grell und so plötzlich, dass die Dunkelheit noch schwärzer wird als schwarz. Wir fassen uns an Mänteln und Ellbogen, versuchen uns aufrecht zu halten, blinzelnd und blind, aber voller Vertrauen, während Mrs. Clarks Stimme uns durch die Stahltür führt.
    Dieser Videoaugenblick: die Wahrheit über die Wahrheit.
    »Geruch ist sehr wichtig«, sagt Mutter Natur. Sie schleppt ihren Pappkarton, die Glöckchen bimmeln, sie tappt durch das Dunkel und sagt: »Lacht nicht, aber bei der Aromatherapie weisen sie einen darauf hin, dass man in der Nähe von Lorbeer-Räucherstäbchen niemals eine Sandelholzkerze anzünden darf...«

Im Schutz der Dunkelheit
Ein Gedicht über Mutter Natur
    »Ich wollte Nonne werden«, sagt Mutter Natur, »weil ich
    untertauchen musste.«
    Auf den letzten Drogentest hat sie sich nicht verlassen.

    Mutter Natur auf der Bühne, ihre Arme in Henna mit Ranken
    bemalt. Von den Fingerspitzen
    bis zu den Schulterträgern ihres regenbogenfarben gebatikten
    Baumwollkittels.
    Um den Hals eine Kette aus Tempelglöckchen, das Messing hat
    die Haut grün
    gefärbt. Ihre Haut glänzt von Patschuliöl.

    »Wer wusste denn was Genaues?«, sagt Mutter Natur. »Und nicht nur
    Urinanalyse.«
    Sie sagt: »Die machen auch Haar- und Fingernagelproben.«
    Sie sagt: »Zusätzlich zur Überprüfung des Umfelds.«
    Überprüfung des Lebenswandels. Des Umfelds.
    Der Kreditwürdigkeit. Die
    Kleiderordnung.

    Barfuß auf der Bühne. Statt eines Scheinwerfers,
    Statt eines Lächelns oder Stirnrunzelns huschen Filmaufnahmen
    eines Nachthimmels über ihr Gesicht.
    Eine Galaxis aus Sternen und Monden.
    Ihre Lippen rot von Rote Bete. Ihre Lider mit gelbem
    Safranstaub berieben.
    Eine wallende Maske aus rosa Spiralnebeln. Aus Planeten mit Ringen
    und Kratern.

    Mutter Natur sagt: »Sie verlangen zu viele
    Referenzen.«
    Dazu ein Lügendetektortest. Vier Identitätsnachweise, mit Foto.
    »Vier«, sagt Mutter Natur und reckt die mit Henna bemalten Finger
    einer Hand. Die Armreifen aus Messingdraht und schmutzigem

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