Die Kolonie
»Es einem am Fuß machen«, wie sie das kichernd nennen.
Der Aufzug öffnet sich auf einen langen Korridor, der zu einer einzigen großen Doppeltür führt. Die Wände sind aus poliertem weißen Marmor. Der Fußboden auch. Die Doppeltür ist aus Milchglas und führt in einen Raum, wo ein Mann an einem weißen Schreibtisch sitzt. Er und Lentil begrüßen sich mit Wangenküssen.
Der Mann hinter dem Schreibtisch sieht dich an, redet aber nur mit Lentil. Er nennt sie Angelique. Hinter ihm führt eine weitere Doppeltür in ein Schlafzimmer. Der Mann winkt euch beide hinein und verschließt hinter euch die Tür. Er schließt euch da ein.
In dem Schlafzimmer liegt ein Mann bäuchlings auf einem riesigen weißen Bett mit weißen Seidenlaken. Er trägt einen Seidenpyjama, glänzende blaue Seide, und seine nackten Füße hängen über die Bettkante. Angelique streift einen Handschuh ab. Dann den anderen, und dann kniet ihr beide euch in den dicken Teppich und nehmt euch jede einen Fuß.
Statt eines Gesichts siehst du nur sein ölig schwarzes Haar, seine großen Ohren, aus denen Büschel schwarzer Härchen sprießen. Der Rest seines Kopfs ist tief in das weiße Seidenkissen eingesunken.
Lach nicht, aber diese Gerüchte sind wahr. Durch Massieren einer bestimmten Stelle, der genitalen Reflexzone an der Unterseite der Ferse, brachte Angelique den Mann zum Stöhnen, er stöhnte in sein Kissen. Lange bevor dir die Hände müde werden, brüllt der Mann auf, schweißgebadet, die blaue Seide klebt ihm an Rücken und Beinen. Als er verstummt, als du nicht mal mehr erkennen kannst, ob er noch atmet, flüstert Angelique, dass ihr jetzt gehen könnt.
Der Mann am Schreibtisch gibt jedem von euch zweitausend Dollar, in bar.
Draußen auf der Straße winkt ein Wächter ein Taxi heran.
Angelique steigt hinten ein und gibt dir eine Visitenkarte. Die Telefonnummer einer holistischen Heilklinik. Unter der Nummer steht handschriftlich geschrieben: »Frag nach Lenny.«
Der weiche Lederhandschuh, der Rosenduft ihres Parfüms, der Klang ihrer Stimme, das alles sagt: »Ruf mich an.«
Es gibt viele Gründe, sich auf diese Weise mit den Füßen anderer Leute zu befassen. Die Vorstellung, dass man seiner Familie ein besseres Leben bieten kann. Dass man seinen Eltern ein wenig Komfort und Sicherheit bieten kann. Ein Auto. Eine Eigentumswohnung an einem Strand in Florida.
Der Tag, an dem du deinen Eltern die Schlüssel zu dieser Eigentumswohnung gibst, ist der glücklichste deines Lebens. Der Tag, an dem sie unter Tränen zugeben, sie hätten nie gedacht, dass ihr Baby jemals vom Massieren stinkender Füße würde leben können. Das ist der Tag, für den du bis an dein Lebensende bezahlen musst.
Lach nicht, aber das ist nicht illegal. Man macht ja bloß eine Fußmassage. Da geschieht nichts Sexuelles, außer dass die Kunden einen so heftigen Orgasmus bekommen, dass sie die ' nächsten zwei Tage nicht mehr gehen können. Ob Männer oder Frauen, das spielt keine Rolle. Man muss nur die richtige Stelle an ihren Füßen massieren, dann gehen sie ab wie eine Rakete. Sie kommen so heftig, dass man es riecht, weil sie nämlich die Kontrolle über ihren Schließmuskel verlieren. So heftig, dass die meisten Kunden dich nur noch anstarren können; der Sabber läuft ihnen aus den Mundwinkeln, und sie deuten mit einem zitternden Finger auf die Kommode oder den Sofatisch, und dort liegt ein Packen Hundertdollarscheine, den du nehmen sollst.
Lenny ruft von der Klinik aus an, und du steigst in einen Charterjet nach London. Die Klinik ruft an, und du fliegst nach Hongkong. Die Klinik besteht nur aus Lenny, das ist ein Mann mit russischem Akzent, der eine Suite im Park Hampton Hotel bewohnt und dem du die Hälfte deiner Einnahmen ablieferst. Lennys Akzent am Telefon sagt dir, welchen Flug du nehmen sollst und in welchem Hotelzimmer oder auf welcher Privatinsel der nächste Kunde auf dich wartet.
Lach nicht, aber der Nachteil dabei ist, man hat nie Zeit, mal einkaufen zu gehen. Das Geld sammelt sich einfach nur an. Deine Arbeitskleidung ist ein Pelzmantel. Damit du in diese neue Welt hineinpasst, brauchst du Schmuck aus echtem Gold und Platin. Eine Frisur, die immer perfekt sitzt. Im Foyer des Ritz-Carlton siehst du vielleicht ein paar Leute, mit denen du zusammen auf der Massageschule warst, und jetzt tragen sie Anzüge von Armani und Cocktailkleider von Chanel. Leute, die früher mal Veganer waren und grundsätzlich nur Fahrrad gefahren sind, und heute
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