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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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meiner Schwester haben meine Eltern nie mehr davon gesprochen.
    Nie mehr.
    Die unsichtbare Möhre meiner Familie. Und jetzt kannst du schön tief Luft holen. Weil ich es immer noch nicht getan habe.

2
    Unter der nächsten Laterne steht Reverend Gottlos, neben ihm ein quadratischer Koffer. Es ist immer noch so früh, dass es nur zwei Farben gibt, Schwarz und Grau. Der schwarze Stoff des Koffers ist mit silbernen Reißverschlüssen vernarbt, die in alle Richtungen laufen, ein schwarzer Schweizer Käse aus kleinen Taschen und Einschüben, Schlitzen und Fächern. Reverend Gottlos - sein Gesicht um Nase und Augen wie rohes Fleisch, mit Narben und Faden zusammengenähte Steaks, die Ohren schief und verschwollen, die Augenbrauen abrasiert. Dafür mit schwarzem Stift zwei überraschte Bögen aufgemalt, die sich fast bis zum Haaransatz wölben.
    Als er in den Bus steigt, öffnet Genossin Snarky einen Knopf ihrer Jacke. Dann schließt sie den Knopf wieder und beugt sich über das Diktiergerät in des Grafen Schandmaul Hemdtasche.
    Direkt in die rot leuchtende RECORD-Anzeige sagt Genossin Snarky: Reverend Gottlos trägt eine weiße Bluse. Eine Damenbluse. Die Knöpfe auf der linken Seite.
    Die Strassknöpfe funkeln im trüben Licht der Laterne.
    Der Bus biegt ab, fährt noch ein Stück, und da steht außerhalb des Lichtkegels einer Laterne und wartet tief im Schatten: die Baronin Frostbeule.
    Als Erstes erscheint ihre Hand in der offenen Bustür, eine normale Hand, die Finger gelb an den Stellen, wo sie ihre Zigaretten hält. Kein Ehering. Die Hand stellt einen Schminkkoffer aus Kunststoff auf die oberste Treppenstufe. Dann erscheint ein Knie, ein Oberschenkel, die Wölbung einer Brust. Ein Gürtel um einen Trenchcoat. Dann schauen alle weg.
    Wir sehen auf unsere Uhren. Oder wir sehen aus den Fenstern nach parkenden Autos und Zeitungskästen. Hydranten.
    Baronin Frostbeule hat Unmengen von Lippenstiften mitgenommen, Lippenwachsstifte. Für ihre Mundwinkel, sagt sie. Wenn die bei kalter Witterung rissig werden und bluten. Ihr Mund ist bloß ein fettig glänzendes Loch, das sie zum Sprechen auf- und zuschraubt. Ihr Mund ist bloß ein rosa Lippenstiftstrich in der unteren Hälfte ihres Gesichts.
    Genossin Snarky beugt sich über Graf Schandmaul, flüstert in sein Diktiergerät: »O mein Gott...«
    Baronin Frostbeule setzt sich, und nur Agent Plaudertasche sieht hin, beobachtet sie aus der Deckung seiner Videokamera.
    An der nächsten Haltestelle wartet Miss America mit ihrem Bauchtrainer, einem tellergroßen rosa Plastikrad mit schwarzen Gummigriffen als Achse. Man packt die Griffe mit beiden Händen und kniet sich auf den Boden. Man beugt sich nach vorn, stützt sich auf das Rad und rollt darauf vor und zurück, wobei man die Bauchmuskeln anspannt. Miss America hat das Rad und ein paar rosa Trikots, honigblondes Haarfärbemittel und einen Schwangerschaftstest zum Selbermachen mitgenommen.
    Als sie durch den Gang geht - mit einem Lächeln für Mr. Whittier in seinem Rollstuhl, ohne Lächeln für Missing Link stellt Miss America jeweils einen Fuß ein wenig schräg vor den anderen, damit ihre Hüften schlanker aussehen, weil immer das vordere Bein das hintere verdeckt.
    »Das Laufsteg-Hüftgewackel«, sagt Genossin Snarky. Sie beugt sich über Graf Schandmauls Notizblock und sagt: »Frauen nennen diesen blonden Farbton aufgehellt «
    Auf den Badezimmerspiegel des Motelzimmers, in dem sie mit ihrem Freund übernachtet hatte, hatte Miss America, damit er es vor seinem morgendlichen Fernsehauftritt lesen konnte, mit Lippenstift, in verschmierter Schrift, geschrieben: »Ich bin NICHT fett.«
    Wir alle hatten irgendeine Nachricht hinterlassen.
    Direktorin Dementi streichelte ihre Katze und erzählte uns, sie habe eine Notiz für alle Mitarbeiter ihrer Agentur geschrieben: »Sucht euch selber was zum Ficken.« Diese Notiz hat sie letzte Nacht auf alle Schreibtische gelegt, damit ihre Mitarbeiter sie am Morgen lesen können.
    Sogar Miss Rotz hat was geschrieben, auch wenn sie niemanden hat, der es lesen könnte. Mit roter Sprühfarbe hat sie auf eine Bank an einer Bushaltestelle geschrieben: »Ruf mich an, wenn du ein Heilmittel gefunden hast.«
    Der Kuppler hat das Blatt mit seiner Nachricht gefaltet und auf dem Küchentisch aufgestellt, damit seine Frau es auch wirklich sieht. Die Nachricht lautete: »Es ist vierzehn Wochen her, dass ich meine Erkältung hatte, und du hast mich immer noch nicht geküsst.« Und weiter: »In diesem

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