Die Kolonie
das Leder weich und hell, schöner als die Haut deines Gesichts. Die Frau dreht sich um und schiebt sich die Sonnenbrille über die Stirn. Sie mustert dich und sagt: »Kenne ich Sie?«
Ihr seid zusammen zur Schule gegangen. Als ihr jung wart - jünger.
Der Portier hält ihr die Tür des Taxis auf.
Und die Frau sagt, natürlich erinnert sie sich. Sie sieht auf ihre Armbanduhr, grell blitzen die Diamanten in der Nachmittagssonne, und sagt, in zwanzig Minuten muss sie am anderen Ende der Stadt sein. Sie fragt, ob du mitfahren willst.
Ihr steigt hinten in das Taxi ein, und die Frau gibt dem Portier einen Zwanzigdollarschein. Er tippt an seine Mütze und sagt, es ist ihm immer ein Vergnügen, sie zu sehen.
Die Frau nennt dem Taxifahrer die Adresse, irgendeine Straße in einer anderen Gegend der Stadt, und das Taxi fädelt sich in den Verkehr ein.
Lach nicht, aber diese Frau - Lentil, deine alte Freundin befreit einen bepelzten Arm vom Bügel ihrer Handtasche, und als sie die Handtasche aufmacht, ist die bis oben hin mit Bargeld vollgestopft. Dicke Bündel von Fünfzig- und Hundertdollarscheinen. Ihr Lederhandschuh wühlt darin herum und fischt ein Handy heraus.
Zu dir sagt sie: »Geht ganz schnell.«
Neben ihr wirken dein mit indianischen Mustern bedrucktes Wickelhemd, deine Flipflops und deine Glöckchenkette plötzlich ganz und gar nicht mehr schick und multikulti. Der Kajalstift um deine Augen und die verblassten Hennamuster auf deinen Handrücken scheinen plötzlich zu sagen, dass du dich endlich mal wieder waschen könntest. Neben den mit Diamanten besetzten Klunkern an ihren Ohren sehen deine großen.
baumelnden Lieblingsohrringe plötzlich aus wie Weihnachtsbaumschmuck vom Flohmarkt.
In ihr Handy sagt sie: »Bin unterwegs.« Sie sagt: »Drei Uhr geht, aber nur für eine halbe Stunde.« Sie sagt Auf Wiederhören und legt auf.
Sie berührt deine Hand mit einem weichen, glatten Handschuh und sagt, du siehst gut aus. Sie fragt, was du jetzt so machst.
Ach, immer noch dasselbe, sagst du. Füße massieren. Du hast dir eine solide Stammkundschaft aufgebaut.
Lentil kaut an ihrer Unterlippe, sie sieht dich an und sagt: »Also immer noch Reflexzonenmassage?«
Und du sagst ja. Wie du dich damit jemals zur Ruhe setzen kannst, weißt du nicht, aber immerhin kannst du deine Rechnungen bezahlen.
Das Taxi fahrt einen ganzen Block weiter, und sie sieht dich nur an und sagt kein Wort. Dann fragt sie, ob du in der nächsten Stunde Zeit hast. Sie fragt, ob du ein bisschen Geld verdienen willst, steuerfrei, es geht um eine vierhändige Fußmassage bei ihrem nächsten Patienten. Du brauchst dich nur um einen Fuß zu kümmern.
Du hast das noch nie mit einem Partner gemacht, sagst du.
»Eine Stunde«, sagt sie, »dafür bekommen wir zweitausend Dollar.«
Du fragst: Ist das legal?
Und Lentil sagt: »Zweitausend Dollar für jeden von uns.«
Du fragst: Bloß für eine Fußmassage?
»Noch eins«, sagt sie. »Nenn mich nicht Lentil.« Sie sagt: »Wenn wir da sind, heiße ich Angelique.«
Lach nicht, aber das ist wirklich wahr. Die dunkle Seite der Reflexologie. Natürlich hatten wir davon etwas mitbekommen. Dass man durch Massieren der Unterseite des großen Zehs Verstopfung herbeiführen kann. Dass man durch Massieren der Gegend oberhalb des Knöchels Durchfall herbeiführen kann. Dass man durch Massieren der Ferseninnenseite Impotenz oder Migräne herbeiführen kann. Aber mit diesem Wissen kann man schließlich kein Geld machen. Also was soll's?
Das Taxi hält vor einem verschnörkelten Steinhaufen, der Botschaft irgendeines Ölstaats im Nahen Osten. Ein uniformierter Wächter zieht die Tür auf, und Lentil steigt aus. Du steigst aus. Im Foyer bestreicht dich ein anderer Wächter mit einem Metalldetektor, er sucht nach Pistolen, Messern und solchen Sachen. Ein anderer Wächter sitzt hinter der glatten weißen Marmorplatte eines Empfangstischs und spricht in ein Telefon. Ein anderer Wächter durchwühlt das Papiergeld in Lentils Handtasche, findet aber bloß ihr Handy.
Eine Lifttür schiebt sich auf, und ein anderer Wächter winkt euch beide hinein. Lentil sagt: »Mach mir einfach alles nach.« Sie sagt: »So leicht hast du noch nie Geld verdient.«
Lach nicht, aber in der Schule haben wir von so was gehört. Gerüchte. Dass gute Reflexologen den Verlockungen der dunklen Seite erliegen können. Indem sie nur bestimmte Lustzentren an der Fußsohle bearbeiten. Und damit Dinge auslösen, von denen nur geflüstert wird.
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