Die Kolonie
Sommer melkst du die Kühe.«
Gräfin Weitblick hatte ihrem Bewährungshelfer geschrieben, er könne sie unter der Nummer 1-800-FUCK-OFF erreichen.
Gräfin Weitblick tritt aus den Schatten, sie trägt einen Turban und um die Schultern ein weißes Spitzentuch. Als sie durch den Gang schwebt, bleibt sie kurz neben Genossin Snarky stehen. »Nur falls Sie sich wundern«, sagt die Gräfin und wedelt mit einer schlaffen Hand, um die lose ein Plastikarmband baumelt. Die Gräfin Weitblick sagt: »Das ist ein GPS-Sender. Sonst wäre ich nicht vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden...«
Eins, zwei, drei Schritte an der Genossin und dem Grafen vorbei, deren Münder immer noch ein wenig offen stehen, sagt Gräfin Weitblick, ohne sich umzudrehen: »Ja.«
Sie berührt ihren Turban mit den Fingernägeln und sagt: »Ja, ich habe Ihre Gedanken gelesen ...«
Der Bus biegt um die Ecke, fahrt am nächsten Einkaufszentrum und am nächsten Motel und noch einem Fast-Food-Restaurant vorbei, und dort auf dem Bordstein hockt Mutter Natur im perfekten Lotussitz, die mit dunklen Hennaranken bemalten Hände offen auf den Knien. Um ihren Hals ein Kettchen mit bimmelnden Tempelglöckchen.
Mutter Natur bringt einen Pappkarton an Bord, darin sind in Kleider gewickelte Flaschen mit dickflüssigem Öl. Kerzen. Die Schachtel riecht nach Kiefernnadeln. Der Lagerfeuergeruch von Kiefernharz. Der Salatsaucengeruch von Basilikum und Koriander. Der Importladengeruch von Sandelholz. Lange Fransen schwingen am Saum ihres Sari.
Genossin Snarky verdreht die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen ist, wedelt sich mit ihrer schwarzen Baskenmütze Luft zu und sagt: »Patschuli «
Unsere Schriftstellerkolonie, unsere einsame Insel, soll gut geheizt und klimatisiert sein, jedenfalls hat man uns das versprochen. Jeder von uns bekommt ein eigenes Zimmer. Viel Raum für Privates, also brauchen wir nicht so sehr viel Kleider. Jedenfalls hat man uns das gesagt.
Wir haben keinen Grund, etwas anderes zu erwarten.
Den geborgten Reisebus würde man finden, uns aber nicht. Nicht in den drei Monaten, die wir die Welt verlassen würden. In diesen drei Monaten würden wir schreiben und unsere Texte lesen. Unsere Geschichten zur Perfektion bringen.
Noch einen Häuserblock und noch einen Tunnel weiter wartete an unserem letzten Haltepunkt der Herzog der Vandalen. Er stieg als Letzter zu. Seine Finger schmutzig und fleckig von Pastellfarben und Kohlestiften. Seine Hände beschmiert mit Siebdrucktinte, seine Kleider steif von Klecksen und Farbspritzern. Alle diese Farben immer noch nur grau oder schwarz. Der Herzog der Vandalen sitzt wartend auf einer Werkzeugkiste, einem schweren Metallkasten, randvoll mit Ölfarben, Pinseln, Aquarell- und Acrylfarben.
Er steht auf, lässt uns warten, während er sein blondes Haar zurückwirft und mit einem roten Halstuch zu einem Pferdeschwanz bindet. Dann steht er in der Bustür, der Herzog der Vandalen, und lässt den Blick über uns schweifen. Angestrahlt vom Scheinwerfer der Videokamera des Agenten Plaudertasche, sagt er: »Wurde aber auch Zeit.«
Nein, wir waren keine Idioten. Wir hätten der einsamen Insel niemals zugestimmt, wenn wir wirklich von allem abgeschnitten wären. Keiner von uns war so angeödet von dieser albernen, unterdurchschnittlichen, mediokren Wischiwaschi-Welt, dass wir unseren eigenen Todeswunsch unterschrieben hätten. Wir doch nicht.
Natürlich erwarteten wir auch dort schnellen Zugang zu notärztlicher Versorgung, nur für den Fall, zum Beispiel, dass jemand die Treppe hinunterfiel oder eine Blinddarmentzündung bekam.
Wir brauchten also bloß zu entscheiden: Was nehmen wir in unserem einen Koffer mit.
Dieser Workshop, da sollte es doch fließend warmes und kaltes Wasser geben. Seife. Toilettenpapier. Tampons. Zahnpasta.
Der Herzog der Vandalen hinterließ seinem Vermieter folgende Nachricht: Die Miete kannst du vergessen.
Noch wichtiger war, was wir nicht mitnahmen. Der Herzog der Vandalen nahm keine Zigaretten mit, er schmatzte unaufhörlich auf seinem Nikotinkaugummi herum. Sankt Prolaps nahm keine Pornos mit. Gräfin Weitblick und der Kuppler nahmen ihre Eheringe nicht mit.
Wie Mr. Whittier sagen würde: »Was euch in der Außenwelt ablenkt, das lenkt euch auch hier ab.«
Der Rest der Katastrophe war nicht unsere Schuld. Wir hatten keinen Grund, absolut keinen Grund, eine Kettensäge mitzunehmen. Oder einen Vorschlaghammer, oder eine Dynamitstange. Oder ein Gewehr. Nein, auf dieser
Weitere Kostenlose Bücher