Die Kolonie
Leid, aber du hättest verschollen bleiben sollen. Als du zurückgekommen bist, warst du nicht mehr wiederzuerkennen.« Sie sagt: »Ich habe dich so viel mehr geliebt, als du verschwunden warst...«
Als Mrs. Clark uns heute Abend im blausamtenen Foyer ihre Geschichte erzählt, sagt sie: »Ich hab's mit Schlaftabletten gemacht.« Sie sitzt auf der breiten blauen Treppe und sagt: »Als ich das Mikrofon entdeckt habe, bin ich weggelaufen.«
An jenem Abend in der Schlucht konnte sie den Hilfssheriff schon durchs Gebüsch hetzen hören, um sie zu verhaften.
Sie ist nie mehr in ihr sauberes Haus zurückgegangen, wo alle Arbeiten, die sie hasste, erledigt waren.
Mrs. Clark besaß nun nichts mehr auf der Welt als ihren Wintermantel und ihre Handtasche. Sie rief die Telefonnummer auf Cassandras Zettel an. Lernte Mr. Whittier kennen, und dann auch uns.
Ihr Blick bewegt sich von unseren bandagierten Händen und Füßen über unsere verwüsteten Haare zu unseren hohlen Wangen. Sie sagt: »Ich war nie seine... was auch immer. Ich habe Mr. Whittier nie geliebt.«
Mrs. Clark sagt: »Ich wollte nur herausfinden, was mit meiner Tochter passiert ist.«
Mr. Whittier hatte das Mädchen getötet, das sie geboren hatte.
Sie sagt: »Ich wollte immer nur wissen, warum. «
22
Der Kuppler ist allein im italienischen Renaissance-Salon, als wir ihn finden. Tagsüber, wenn das Licht an ist, steht er meistens an dem langen schwarzen Holztisch, den Hosenlatz offen, das Fleischbeil in der Hand. In seinen Augen: hacken oder nicht hacken.
»Schuu-ruuk .« dieses Geräusch aus dem Ritual seiner Familie.
Beweis, dass deine schlimmsten Ängste eines Tages einfach verschwinden könnten. Egal wie furchtbar etwas aussieht morgen ist es vielleicht nicht mehr da.
Der Kuppler hat es aufgegeben, uns zu bitten, für ihn das Hackbeil zu schwingen. Warum sollten wir ihm helfen, sich ins künftige Rampenlicht zu drängen? Nein, wenn er mit einer so üblen Verstümmelung hier rauskommen will, soll er das mal selber tun.
Die Tischbeine scheinen aus verschieden großen Kugeln zusammengesetzt, Perlen, auf eine schnurgerade Schnur gereiht. Die Kugeln ganz unten und ganz oben haben die Größe von Äpfeln. Die Kugel in der Mitte jedes Beins ist groß wie eine Wassermelone. Alle vier Beine haben dieselbe schmierig schwarze Farbe. Lang und schmal wie ein Sarg; der Tisch wirkt wie aus Wachs geschnitzt. Lang und flach, und so stark verschmutzt, dass nichts sich in ihm spiegelt.
Wie immer also steht der Kuppler da, das Beil in der Hand. Das Kinn an die Brust gedrückt. Er beobachtet seinen aus dem Hosenschlitz ragenden Schwanz, wie eine Katze ein Mauseloch beobachtet.
Die Wände des italienischen Renaissance-Salons sind immer noch mit demselben altgrünen Satin bespannt wie seit dem Tag, als der weiße Lieferwagen uns hier abgesetzt hat. Seit einer Ewigkeit. Der grüne Satin sieht feucht aus. Glatt. Goldfarbe ziert die Kanten aller Stuhllehnen und Fußleisten und Leuchter an den grünen Satinwänden.
In den Wänden sind Vertiefungen, und in diesen mit grünem Satin bezogenen Nischen stehen Statuen, nackt, so übertrieben mit Muskeln und Brüsten ausgestattet, dass sie fett aussehen. Die Statuen sind größer als die meisten Menschen und stehen auf schwarzgrün gestrichenen Gipssockeln, die aus Malachit sein könnten. Einige halten Speere und Schilde. Andere strecken den weißen Gipshintern raus, Füße geschlossen und im Kreuz leicht nach vorn gebeugt. Muskeln oder Hintern, der Gips ist von den Füßen aufwärts mit schmutzigen Fingerabdrücken übersät, mit weißen Schrammen und Kratzern, die von Fingernägeln stammen, aber nur bis zu einer Höhe, in die man mit hochgereckten Armen noch gelangen kann. Bis zu den Hüften.
Wir rennen die Treppe von der kaiserlich-chinesischen Wandelhalle hinauf, stürzen vom Roten ins Grüne, und da steht wieder der Kuppler und hat den Schwanz aus der Hose hängen.
Keuchend, hustend, eine Hand auf der Brust, sagt Reverend Gottlos: »Sie kommen ... Man kann sie draußen auf der Straße hören.«
Agent Plaudertasche sagt hinter seiner Kamera: »Wenn du ihn abschneiden willst, dann tu es jetzt. «
Und, das Hackbeil in der Hand, sagt der Kuppler: »Was?«
Der arme Kuppler. Verglichen mit dem, was von ihm sonst noch übrig ist - Glubschaugen, große Nase und eingefallene Brust -, wirkt sein Schwanz groß wie eine Statue. Er ist der Letzte von uns, dem noch nichts fehlt. Er ist so schmutzig, dass ihm das Hemd am Leib
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