Die Kolonie

festklebt. Seine Haut ist straff gespannt, die knochigen Hände zerklüftet von Venen und Arterien. Geballte Adern krümmen sich auf seiner Stirn. Sehnen zucken und zittern an seinem Hals.
    »Da draußen sind Leute«, sagt Missing Link. Sein Mund hinterm dicken Ende der Nase verborgen, irgendwo versteckt über dem strotzenden Sack seines haarigen Kinns. Er sagt: »Die bohren das Schloss auf. Bald sind wir berühmt «
    Tja, wir anderen schon - nur nicht der Kuppler, der Mann, der keine Narben vorzuweisen hat, keine Anhaltspunkte dafür, dass er etwas anderes getan hat als hungern.
    Die Tischplatte um seine graue Eichel ist kreuz und quer eingekerbt von Übungsschlägen, die Scharten aufgequollen von unserem Blut. Splitter und Späne der schwammigen Holzplatte überall auf dem Fußboden.
    Unsere Ohren und Zehen und Finger: an die Katze verfüttert. Cora Reynolds an Miss America verfüttert. Miss America und ihr Kind an uns verfüttert. Die Nahrungskette, geschlossen.
    Jeder von uns kämpft darum, der Letzte in dieser Kette zu sein.
    Die Kamera hinter der Kamera hinter der Kamera.
    Graf Schandmaul hebt eine Hand, wedelt mit den drei blutigen Fingern, die er noch hat, aber ohne Nägel, und sagt: »Schnell, gib mir das Beil.« Er sagt: »Ich hab noch Zeit, ein bisschen mehr zu leiden.«
    Der Killerkoch plumpst in einen goldenen Sessel und schleudert seine Schuhe weg. Er packt einen Strumpf an der Spitze und zieht, zieht ihn immer länger, bis er vom Fuß flitscht. Er betrachtet seine Zehen und sagt: »Ich zuerst. Ich hab noch zu viele Zehen dran.«
    Der arme Kuppler steht da, seine Hüfte an das schwarze Holz gepresst, den Schwanz auf der Tischplatte. Er sagt: »Hetzt mich nicht.« Schweiß quillt ihm aus jeder Pore der Stirn, und er sagt: »Ihr hattet schon eure Chance zu leiden. Jetzt bin ich an der Reihe.«
    »Dann leide endlich«, sagt der Koch. Er schnipst mit seinen noch übrigen Fingern und sagt: »Oder gib mir mein Fleischbeil zurück. Das ist mein Fleischbeil...« Er streckt die Hand danach aus.
    Der Graf tritt an den Tisch, er hält das Diktiergerät, das winzige Mikrofon darin, bereit, die Vergangenheit mit dem einzigen Hackgeräusch zu überspielen. Graf Schandmaul sagt: »Sei ein Mann .«
    Er sagt: »Das ist deine letzte Chance. Sei ein Mann, und hack dir den Schwanz ab.«
    Unter Missing Links offenem Hemd sieht man seine Brust, nichts als dunkles Haar und die Leiter der Rippen. Er sagt: »Wenn unten die Tür aufgeht, wird es für uns alle zu spät sein.« Er sagt: »Also mach schon.«
    Und der Kuppler betrachtet sein Spiegelbild in der breiten Klinge des Hackbeils. Er zeigt mit der Klinge auf Reverend Gottlos und sagt: »Hilfst du mir?«
    Der Reverend nimmt das Beil. Er packt den Griff mit beiden Händen und haut damit durch die Luft.
    Der Kuppler atmet keuchend ein und aus und presst die Hüfte noch fester an den Tisch. »Sag mir nicht, wann. Tu's einfach«, sagt der Kuppler.
    Und der Reverend sagt: »Vergiss nicht.« Er sagt: »Ich mach das nur, um dir einen Gefallen zu tun.«
    Der Kuppler schließt die Augen. Legt die Hände auf den Hinterkopf, die Finger verschränkt.
    Und... dann ... und: schuu-ruuk. Das Beil steckt in der schwarzen Tischplatte. Der ganze Tisch ist hochgesprungen und summt noch, und etwas ist darüber hinweggezischt und auf der anderen Seite zu Boden gefallen. Eine winzige rosa Rakete, angetrieben von einem heißen Blutstrahl. Aus dem Reißverschluss schießt es immer noch dampfend rot hervor, als der Kuppler eine Hand nach dem verschwundenen Ding ausstreckt. Um es aufzufangen. Dann geben seine Knie nach.
    Er umkrallt mit beiden Händen die Tischkante, aber die Finger rutschen ab. Als er mit dem Kinn aufs Holz kracht, schlagen seine Zähne laut zusammen. Jetzt liegen der Kuppler und sein Penis beide unter dem Tisch. Und beide sind nur noch • graues Fleisch.
    Unser armer Kuppler, nur noch ein Requisit, das wir in unsere Geschichte einbauen können. Unsere neue Marionette. Seine Familiengeschichte, die Sache mit den Blowjobs im Todeslager, das ist jetzt unsere Geschichte.
    Missing Link bückt sich unter den Tisch. Als er wieder aufsteht, liegt der graue Kupplerschwanz in seiner offenen Hand, ein bisschen verschrumpelte Haut, gedehnt und ausgeleiert von den Erektionen eines Lebens. An der Schnittfläche ganz normales rosa Fleisch...
    »Meiner«, sagt Missing Link. Er riecht daran, einmal, zweimal, die Nüstern gebläht, die Nasenspitze nur Millimeter von dem Fleisch entfernt. Er zuckt